Update // Räumung des “Refugio” nach nur einer Woche

Vor einer Woche haben solidarische Strukturen in Claviere eine ehemalige Zollstation besetzt, um der Repression in der Grenzregion eine sichere Anlaufstelle entgegenzusetzen. Dieser Ort war so lange Symbol von Kontrolle, Repression und einem wahnsinnigen Grenzregime – nun hat er für eine kurze Zeit das Gegenteil bezweckt.


Doch nur eine Woche später, am 5. August, wurde das neu errichtete „Refugio“ von der italienischen Polizei am frühen Morgen geräumt. Der No Nation Truck befand sich in unmittelbarer Umgebung der ehemaligen Zollstation und wurde ebenfalls Zielscheibe der Repressionen. Eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse: 

Was ist passiert? Die Crew des Trucks wurde morgens um 6 Uhr von Polizei durch Klopfen geweckt. Unsere Crew versuchte Ruhe zu bewahren. Die Crewmitglieder wurden aus dem Truck geführt und ihre Personalien aufgenommen. Dabei wurden sie abgefilmt, während die Cops den Truck durchsuchten. Im Anschluss wurde der Truck durch die Crew abgeschlossen. Bisher ist unklar, unter welchem Vorwand unsere Crew eine Anzeige zu befürchten hat. Anschließend wurde unsere Crew abgeführt und mit anderen Aktivisti im Squat festgehalten. Stundenlang dauerte die Personenerfassung vor Ort an. Die Außenkoffer des Trucks wurden aufgebrochen, während die Cops im LKW alles mit Kamera abfilmten. Unsere internationalen Genoss*innen wurden außerdem mit weiteren Klagevorwürfen unter Druck gesetzt und erkennungsdienstlich behandelt. Bei anderen Autos wurden z.B. Dachfenster aufgebrochen, um sich Zutritt zu verschaffen. Im Anschluss konnten alle vom alten Camp in Kolonne weggefahren.


Womit ist jetzt zu rechnen?Europäische Behörden haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, solidarische und selbstbestimmte Strukturen gegen das Grenzregime zu terrorisieren und in Grund und Boden zu klagen (siehe Iuventa10, El Hiblu etc.)


So ein Verfahren kann lange dauern, ist aber aussichtslos – weil Solidarität kein Verbrechen ist! Solidarische Netzwerke werden so lange bestehen, wie sie gebraucht werden und wachsen mit jedem Angriff nur enger zusammen.

UPDATE VON DER MONGENEVRE-GRENZE

Das Grenzcamp in Claviere, dessen Teil der No Nation Truck ist, leistet seit bald drei Monaten Widerstand!

Die Grenze und ihre tödliche Dynamik verändern sich weiter und von hier aus beobachten wir weiterhin die Gewalt, die die Staaten gegen diejenigen ausüben, die die Grenze überqueren wollen, und gegen diejenigen, die entschlossen sind, sich ihr zu widersetzen und dagegegen handeln.


An der Grenze sowie in den CPRs (Abschiebeknäste) und Gefängnissen ist die Gewalt des Staates dank des operativen Arms, den die humanitären Organisationen in Absprache mit der Präfektur und in direkter Zusammenarbeit mit der Polizei zur Verfügung stellen, spürbar. Das Rote Kreuz fährt jeden Abend nach Claviere um den aus Oulx kommenden Bus zu empfangen. Die Mitarbeiter:innen sind oft nach 22 Uhr abwesend, obwohl ihre angebliche Mission darin besteht, die medizinische Versorgung der Menschen zu gewährleisten, die die Berge überqueren oder sich auf der Flucht vor Gendarmerie, PAF (Police Aux Frontiéres – französische Grenzpolizei) und Militär verletzt haben.Tatsächlich beteiligt sich das Rote Kreuz in Absprache mit der italienischen und französischen Polizei an Push-Backs. In vielen Fällen ist der Krankenwagen selbst für den Transport der von der PAF abgewiesenen Personen in die Unterkunft in Oulx verantwortlich. Seit Monaten verteilen die Betreiber:innen des Roten Kreuzes ein Flugblatt, in dem sie die Menschen davor warnen, sich angesichts der Risiken in den Bergen in Gefahr zu begeben. Wir wissen, dass Berge gefährlich sein können, besonders wenn man nachts, in der Kälte und ohne Ortskenntnis wandert. Aber es ist die Anwesenheit der Polizei, die sie tödlich machen. Grenzen töten, sowohl im Mittelmeer als auch in Ventimiglia und in diesen Bergen, wo in den letzten Jahren vier Menschen gestorben sind und unzählige andere Opfer von Diebstahl, Schlägen und Übergriffen wurden. Auch in diesen letzten Wochen sahen wir Personen, die Verletzungen und Wunden erlitten, als sie vor der Polizei geflohen sind um so ihrer Kontrolle und Gewalt zu entkommen. Ebenfalls erlitt eine schwangere Frau eine Fehlgeburt, nachdem sie nachts zu Fuß die Grenze überquert hatte.


Repressionen haben auch gegen uns zugenommen: Jeden Tag werden wir observiert. Sie wollen uns einschüchtern und bedrohen, weil unsere Anwesenheit unangenehm ist, besonders mit der Ankunft der Sommersaison und des Tourismus.


Aus den Berichten von Menschen, die zurückgedrängt wurden, wissen wir, dass die italienische Polizei immer mehr in Pushbacks verwickelt ist. Uns wurde berichtet, dass die italienische Polizei vor einigen Tagen die Talitha Kum Unterkunft in Oulx betreten hat, um die Fingerabdrücke von vier Personen zu nehmen, die zuvor zurückgedrängt wurden.Vor ein paar Tagen wurde zudem bekannt, dass die Präfektur der Unterkunft 180 000 Euro zur Verfügung stellt. 


In den letzten Wochen kam die italienische Polizei in die französische Grenzpolizeistation (PAF), um vor Ort die Fingerabdrücke der in der Nacht verhafteten Menschen zu nehmen. Solche Kooperationen zwischen italienischer und französischer Polizei sind keine Überraschung, sondern ein klares Beispiel dafür, wie die Festung Europa ihre rassistische und unterdrückerische Politik gewaltsam durchsetzt, um das Leben von Menschen ohne Papiere zu verwalten und zu kontrollieren und um ihre inneren und äußeren Grenzen zu schützen. Es ist inzwischen gängige Praxis, dass Menschen, die zurückgedrängt wurden, einen Zettel bekommen, der sie verpflichtet sich auf der Turiner Polizeiwache zu melden. Das Stück Papier, die x-te Einschüchterung, stellt einen zwanghaften Versuch dar, Menschen, die unterwegs sind, in das System eines Staates zu integrieren, in dem sie offensichtlich nicht bleiben wollen.
Gegen Staaten, Grenzen und all ihre Kompliz:innen sollten wir uns organisieren und handeln.

Das widerständige, grenzüberschreitende Camp geht weiter, schließt euch uns an!