ERSTE MISSION. NORDFRANKREICH

Überblick:

Seit Mitte Januar ist unsere Spotting Crew für den No Nation Truck in Nordfrankreich unterwegs und verschafft uns einen Überblick zur Situation geflüchteter Menschen in der Region. Entlang der Küste gibt es mehrere Häfen mit täglichen Fährverbindungen nach Großbritannien bzw. Irland. Durch den Brexit entstand dieses Jahr (2021) hier eine weitere Außengrenze der EU.

Ziel dieser Crew ist es die Bedürfnisse der Flüchtenden zu erfragen, herauszufinden wie das Verhältnis der Menschen zu Anwohner*innen, lokalen Unterstützungsstrukturen sowie den sogenannten Sicherheitsbehörden ist und final die Ankunft des LKWs vorzubereiten.

Aus verschiedenen Gründen versucht ein Teil der Menschen mit Fähren in die UK oder nach Irland überzusetzen. Einerseits gibt es dort durch die Kolonialgeschichte größere migrantische Communities von Menschen aus einigen Regionen.

Außerdem wird sich durch die Amtssprache Englisch ein leichterer Zugang zu Arbeit und sozialer Teilhabe erhofft.

Der Brexit stellt nun alle vor große Fragen und bereits jetzt ist zu beobachten, dass sich die Routen beispielsweise nach Irland verschieben. Wir wissen von mehreren wilden Camps in der Gegend und haben diese teilweise schon besucht um uns ein Lagebild zu machen und die Bedürfnnisse der Menschen einschätzen zu können.

Durch die gegenwärtige Corona Lage und der neuen Mutation des Virus in Großbritannien fahren viel weniger LKW´s, es gibt verschärfte Kontrollen mit Hunden und es findet ein technisches Aufrüsten statt. Die Grenzanlagen an den Häfen werden verstärkt, mehr Cops eingestellt und Hightech Scanner sowie andere Überwachungstechnologien werden installiert.

Ende letzten Sommers waren schon zwei Menschen aus unserem Kollektiv hier, haben erste Erfahrungen in dieser Region gesammelt und sich mit lokalen Strukturen vernetzt.

In den vergangenen Wochen standen wir mit vielen Menschen und Gruppen im Austausch, welche uns sehr herzlich und tatkräftig willkommen geheißen und bei vielem unterstützt haben.

Aktuelle Lage:

Die Lage hier hat sich, im Vergleich zum letzten Sommer, unerwarteter (und glücklicher) Weise verbessert:

Erstens sind viele lokale Gruppen regelmäßig bei den Menschen in den Wildcamps. Sie verteilen dort kaltes wie warmes Essen, bringen Wasser und schauen den Cops auf die Finger, wenn diese mit einem städtischen Reinigungsdienst jede Woche kommen und ihre Macht demonstrieren.

Zweitens wurden einige Menschen aufgrund der eisigen Temperaturen in Hostels untergebracht (in denen es allerdings an Kochmöglichkeiten fehlt) und das französische Gesetz lässt Räumungen von besetzten Häusern während des Winters weniger zu. Lokale Gruppen rechnen allerdings mit Gesetzesverschärfungen und einem Anstieg der Repression gegen Besetzungen in der bevorstehenden Zeit.

Andererseits haben wir die Befürchtung, dass sich die Lage mit Frühlingsanbruch und abfallenden Corona Zahlen schnell wieder verschlechtern könnte, weil Menschen wieder auf die Straße gesetzt werden sobald der Staat keine hässlichen Bilder von Kälte- und Corona Toten mehr befürchtet.

Was es zusätzlich zu beobachten gilt, ist wie in vielen anderen Grenzregionen auch, systematische rassistische Gewalt von lokalen Behörden wie Frontex, der Gendarmerie und der Polizei. Wir haben etliche Erlebnisberichte von Polizeigewalt gehört, bei denen Menschen von den Cops 30 km weit verschleppt wurden und ohne Schuhe und Telefon in der Nacht ausgesetzt wurden und den Weg zurück zu Fuß finden mussten. Das Borderviolence Monitoring wäre hier sehr nützlich, um die systematische Grenzgewalt aufzuzeigen.

Insgesamt stellen wir fest, dass in Frankreich sehr viele Geflüchtete mit unterschiedlichen Zielen festhängen und sich meist in Gruppen von 20-50 Menschen zusammenfinden um sich gegenseitig zu unterstützen und auf ihrem Weg weiterzukommen oder die langwierigen Wartezeiten für die Asylprozesse zu überstehen. Laut Aussagen der aktiven Locals nimmt die Repression in Form von Räumungen, Kontrollen, neuen Gesetzen und Gewalt deutlich zu. Mit dem No Nation Truck wäre es möglich, Erste Hilfe und warmes Essen anzubieten, um somit mobil und flexibel auf die Gewaltverschärfung zu reagieren.

Aufbruch:

Momentan stehen wir vor der Aufgabe, auf die veränderte Situation angemessen zu reagieren. Uns ist ein verantwortungsvoller und transparenter Umgang mit unseren Unterstützer*innen wichtig.

Deshalb haben wir uns dazu entschieden, dass der No Nation Truck in wenigen Tagen Richtung Nordfrankreich losrollen wird. Wir werden unseren Fokus darauf umlegen, bereits bestehenden Strukturen mit dem was der LKW kann solidarisch zuzuarbeiten. Wir möchten dazu beitragen, die örtliche Szene stärker in das europaweite No Border Netzwerk einzubinden, Grenzgewalt zu dokumentieren und zu veröffentlichen.

Unser Ziel bleibt es weiterhin den LKW schnellstmöglich in Richtung Balkan zu lenken, da die Umstände für flüchtende Menschen in dieser Region Europas sicher am katastrophalsten sind und unser Gefährt auf die Bedürfnisse der Menschen dort konzipiert wurde.

Bis uns der Weg in den Balkan mit dem LKW möglich ist wird der Truck und die Crew in der französischen Normandie auf Mission sein um die hier von der EU im Stich gelassenen Menschen zu unterstützen und die blinden Flecken der europäischen Abschottungspolitik sichtbar zu machen und anzuprangern.

P.S.: Wir halten weiterhin die Ohren offen um schnell reagieren zu können, wenn wir von neuen wilden Camps hören, in denen es eine größere Notwendigkeit für mobile Infrastruktur (Strom, Wasser, Küche, Medizin. Ersthilfe) gibt.

Also lasst uns unbedingt wissen, wenn ihr von solchen Orten in Europa wisst!

 

Solidarische Grüße, NNT.