Rückblick: Der Truck ist zurück, die Grenze bleibt
Nach mehr als drei Monaten ist der No Nation Truck zurück von der italienisch-französischen Grenze. Wir fahren, als der Winter kommt. Von unserer Base in Oulx, auf etwas mehr als 1000 Metern, können wir bereits erste weiße Schneefelder in den Bergen sehen, durch die hier die Grenze verläuft. Es fühlt sich scheiße an zu gehen. Wir wissen, dass Menschen trotz erschwerter Wetterbedingungen, trotz erhöhter Grenzkontrollen, trotz Lawinengefahr weiter über diese Grenze in der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit fliehen werden.
Diese Grenze ist mit ihren Widersprüchen ein Sinnbild der rassistischen Abschottungspolitik Europas: Da gibt es die Luxusferiengäste, die gemütlich im Bus zur nächsten Instagramtauglichen Wanderung gondeln. Die sich mit einer Selbstverständlichkeit in den Bergen bewegen, wie sie nur ein europäischer Pass garantiert – gleichzeitig gibt es all die Menschen, die diese Grenze mit Todesangst überqueren. Nicht im Bus, sondern zu Fuß. Nicht in teuren Outdoorklamotten, sondern in Badelatschen und Wollsocken, auf dem Rücken wenn überhaupt nur die letzten privaten Gegenstände. Nicht mit touristischer Leichtigkeit, sondern mit der Gewissheit, dass in den satten Wäldern die Gefahr lauert, gepushbackt zu werden. Dutzende Länder haben sie zu Fuß durchquert, manche das Meer. Sie stehen am Ende ihrer Reise und auch ihrer Kräfte. Und dürfen doch nicht ankommen hinter dieser Grenze. Denn selbst wenn sie es bis Briançon, die nächstgrößere Stadt auf französischer Seite schaffen, sind sie noch nicht in Sicherheit. Die französischen Bullen führen Pushbacks noch mehrere Kilometer hinter der Grenze durch. Das Rote Kreuz in Oulx hilft mit.
Innerhalb unserer Monate vor Ort haben wir fast täglich erlebt, wie der Bus vom Roten Kreuz Italien in Kooperation mit der französischen Grenzpolizei Menschen zurück nach Oulx fuhr. Die gleichen Fahrer:innen, die sich an den Pushbacks beteiligen, betreiben hier eine Notunterkunft, in der Menschen auf der Flucht ein paar Nächte schlafen können. Allen ist klar, dass niemand hier bleiben will. Die Menschen wollen weiter nach Frankreich, Belgien, Deutschland oder UK. Viele sind gesundheitlich stark belastet. Sie kommen aus dem Iran, aus Kurdistan, aus Afghanistan, Tunesien und dutzenden anderen Ländern. Die meisten wollen direkt weiter. Keine Zeit verschwenden in diesem gefährlichen Landstrich, wo jederzeit eine Kontrolle, ein Pushback, eine Festnahme droht. Wenn sie morgens zum Frühstück zu uns in den Truck kommen, hören wir nur manchmal kurz Teile ihrer Geschichten.
Ein junger Mann erzählt von wochenlangem Ausharren in Wäldern auf der sogenannten Balkanroute, oft tagelang ohne Essen oder Trinken. Der Wald hat sich mit tiefen Narben in seine Hände und Füße gegraben. Er hinkt. Er will in der Nacht gehen, auch wenn dann schon Schnee fallen könnte.
Ein anderer erzählt, vor einer Woche noch auf dem Meer getrieben zu sein. Er habe zu einem Zeitpunkt nicht mehr damit gerechnet, die Reise zu überleben. Und jetzt ist da diese Bergkette vor ihm. Er sei noch nie in den Bergen gewesen, sagt er. Was, wenn ich runterfalle? Wenn ich nicht mehr kann? Wenn mich da oben die Polizei verprügelt? Er sagt auch, er habe gedacht, Europa, da sei er sicher.
Ein Mann, der morgens zum Truck kommt, um sich zu informieren, spricht uns auf Deutsch an. Er habe in Afghanistan lange als Lehrer für die Ausbilder der Bundeswehr gearbeitet. In einer Plastikhülle trägt er Papiere mit sich, die auf Deutsch geschrieben sind. Sie haben mich vergessen, sagt er, aber die Taliban, die haben nicht vergessen. Für ihn ist die Reise hinter der Grenze nicht zu Ende. Er will nach Deutschland.
Täglich besuchen 15-20 Personen den Truck, informieren sich, tauschen sich aus. Ob ihre Reise in Sicherheit endet, werden wir nicht erfahren. Dass es immer schwerer wird, diese Grenze zu passieren, spüren wir noch gegen Ende unserer Zeit in Oulx: Im Kindergarten neben unserem Base-Camp wird gewählt. Wir sollen bitte den Truck nicht so nah an der Einrichtung abstellen, wegen der Kinder, heißt es. Italien wählt an diesem Tag eine faschistische Regierung. Was der erneut institutionalisierte Faschismus für diese Region bedeutet, bleibt abzuwarten (siehe auch https://nonationtruck.org/kriegt-hier-ueberhaupt-jemand-mit-was-in-italien-gerade-passiert/).
Ein bisschen Hoffnung gibt es aber: Wir sehen und supporten weiterhin unsere Genoss:innen von Passamontagna, die mit aller Energie weiter in der Region für ein Recht auf Bewegungsfreiheit kämpfen und diesen Sommer erneut starken Repressionen ausgesetzt waren. Sie bleiben auch im Winter. Das Yallah, ein selbstverwalteter Squat oberhalb von Oulx steht immer noch. Und die Vergangenheit hat auch gezeigt: Räumen die Bullen einen Squat an der Grenze entsteht ein Neuer. Auch die Menschen werden nicht aufhören, zu Fuß diese Berge zu überqueren – egal wie lebensgefährlich diese Route ist und egal, wer in Italien regiert.
Die neue faschistische Regierung Italiens legt in ihrer Kommunikation nur offen, was die EU subtil schon seit immer betreibt. Eine Abschottungspolitik für reiche, für weiße und privilegierte Menschen auf Kosten von Menschenleben. Es ist die gleiche rassistische, gleichgültige und menschenverachtende Politik wie der offene Rassismus der italienischen Regierung, nur mit mehr Hybris. Deshalb wird der Truck weiter an Europas Grenzen unterwegs sein, überall, wo Menschen weiterkommen müssen, um in Sicherheit zu sein.
Der Truck ist zurück in Deutschland – In Wartung aber nicht in Stillstand! Wir halten euch auf dem Laufenden.