(Teil 2) Ein Reisebericht aus dem Baskenland: Kaixa! Saludos de Euskera Herria!

Ein Reisebericht aus dem Baskenland: Kaixa! Saludos de Euskera Herria! (Teil 2)

Ein paar Menschen unserer Gruppe waren letzte Woche im Baskenland, um sich dort mit Solidaritätsstrukturen in der Grenzregion zu vernetzen. Durch den Austausch können wir einerseits voneinander lernen und andererseits schauen, wie wir die unterschiedlichen Kämpfe verbinden können. Denn überall in Europa werden Menschen daran gehindert, sich frei fortzubewegen. Die Strategien sind dabei häufig ähnlich.

Wer kann sich sowas in Deutschland vorstellen?! – Was die Menschen in der Stadt Bilbao gemeinsam schaffen

Auch in Bilbao gibt es solidarische Gruppen, wie die bereits erwähnte „Ongi etorri errefuxiatuak“ („welcome refugees“ auf Baskisch). Ein Fokus von ihnen liegt auf Netzwerkarbeit in Spanien und darüber hinaus in ganz Europa. Ein mal im Jahr plant die Gruppe eine „Caravane“ – jedes Jahr zu einer anderen Grenzregion Europas („Caravana abriendo fronteras“, zu deutsch: „Caravane die Grenzen öffnet“). Zudem will die Gruppe die Fluchtbewegungen der Vergangenheit in Spanien unter Franco mit dem heutigen Migrationsgeschehen verknüpfen, um so an die Solidarität der Bevölkerung zu appellieren und gleichzeitig eine Aufarbeitung der Vergangenheit zu fördern. Dieses Jahr fährt die Caravane nach Melilla – zum Jahrestag vom Massaker von Melilla am 24. Juni 2022.

Außerdem organisiert die Gruppe direkten Support in Bilbao. Die Gruppe handelt nach dem Leitsatz, dass ihre Netzwerkarbeit nur funktioniert, wenn sie auch lokal arbeiten. Ihre Arbeit hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren immer wieder verändert. Begonnen haben sie mit der Verteilung von Essen am Hafen, von wo aus Leute versuchen auf die Fähren nach Großbritannien zu kommen.

Mittlerweile machen sie dies nicht mehr, sondern betreiben ein kleines Büro in ihrem Kiez, welches täglich vier Stunden geöffnet ist. Sie unterstützen bei allen möglichen Anliegen und haben sich über die Jahre viel Wissen angeeignet. Sei es zu rechtlichen Fragen, Ärzt:innen, Kinderbetreuung etc. Sie scheinen extrem gut in ihrer Nachbar:innenschaft vernetzt zu sein. Es gibt ein Netzwerk, welches Schlafplätze organisiert und ein paar angemietete Wohnungen verwaltet, die durch das Viertel finanziert werden. Wer kann sich sowas in Deutschland vorstellen?!

Die Gruppe beschäftigt sich auch mit den Angehörigen von Vermissten. Sie sammelt die Geschichten und bringt Menschen wieder zusammen, da es keine staatliche Stelle für Angehörige von Vermissten gibt. Zu der Thematik gab es im Mai 2023 auch einen Kongress in Madrid.

Mehr Infos zur Gruppe „Ongi etorri errefuxiatuak“ in Bilbao unter https://ongietorrierrefuxiatuak.info und https://instagram.com/oeebizkaia?igshid=MzRlODBiNWFlZA

Für mehr Infos zur „Caravana abriendo fronteras“ klickt https://instagram.com/caravanaabriendofronteras?igshid=MzRlODBiNWFlZA

Wer noch mehr zu der südspanischen Grenze lesen will, kann sich diese beiden Seiten anschauen:

  • https://www.apdha.org
  • https://caminandofronteras.org

Wir haben viel über die Region hier gelernt, wohl wissend, dass dies nur ein Bruchteil des Gesamtbildes ist. Wenngleich die Kriminalisierung von und Repression gegen Menschen ohne EU-Pass auch im Baskenland omnipräsent ist, so gibt es doch auch Hoffnung überall auf Genoss:innen im Kampf gegen den Status Quo zu stoßen. La Lucha sigue! Der Kampf geht weiter!

(Teil 1) Ein Reisebericht aus dem Baskenland: Kaixa! Saludos de Euskera Herria!

Ein Reisebericht aus dem Baskenland: Kaixa! Saludos de Euskera Herria! (Teil 1)

Ein paar Menschen unserer Gruppe waren letzte Woche im Baskenland, um sich dort mit Solidaritätsstrukturen in der Grenzregion zu vernetzen. Durch den Austausch können wir einerseits voneinander lernen und andererseits schauen, wie wir die unterschiedlichen Kämpfe verbinden können. Denn überall in Europa werden Menschen daran gehindert, sich frei fortzubewegen. Die Strategien sind dabei häufig ähnlich.

Lasst uns von den Menschen im Baskenland lernen: Grenzregion Irun

In der Grenzstadt Irun haben wir die Gruppe „Irungo Harrera Sarea“ kennengelernt. Sie ist seit dem vermehrten Einsatz von Grenzkontrollen im Sommer 2018 aktiv, schafft eine Öffentlichkeit für die Situation von illegalisierten Menschen und steht ihnen als Ansprechpartner:in zur Verfügung.

Die Zahl der passierenden Personen schwankt und hängt von verschieden Faktoren ab. Einerseits nutzt der marokkanische Staat Menschen auf der Flucht immer wieder als politisches Druckmittel gegen Spanien und die EU, andererseits öffnen und schließen sich auch innerhalb Europas immer neue Wege.

Menschen, die in Irun ankommen, können bis zu drei Nächte in einer Unterkunft vom Roten Kreuz schlafen, sofern sie bestimmte Kriterien erfüllen (sie müssen sog. „Flüchtlinge im Transit“ sein). Zwischen Spanien und Frankreich verläuft hier in der Region ein Fluss, der in Irun nur über eine Brücke passiert werden kann. Es gab viel Kritik von der französischen Zivilbevölkerung, die die Grenzkontrollen auf der Brücke als Racial Profiling wahrgenommen und abgelehnt hat. Dank der starken Proteste mussten die Kontrollen in ihrer damaligen Form eingestellt werden. Aber stattdessen sind in den Bussen nach Bayonne und an anderen Stellen der Grenzregion Kameras installiert. So kann die Grenze weiterhin kontrolliert werden.

In der Zeit vor den zivilgesellschaftlichen Protesten, als die Brücke faktisch für illegalisierte Menschen nicht passierbar war, starben über einen Zeitraum von zwei Jahren 10 Menschen, die schwimmend durch den Fluss versucht haben Frankreich zu erreichen oder auf den Bahnschienen von der Bahn erfasst wurden. In Gedenken an die Opfer dieser staatlichen Gewalt wurde mittlerweile von lokalen Gruppen, wie insbesondere „Ongi etorri errefuxiatuak“ aus Bilbao (siehe unten), ein Gedenkstein am Fluss aufgestellt (siehe Foto).

Auf beiden Seiten des Grenzflusses ist mit Polizeirepression zu rechnen. So hat beispielsweise der Polizeichef auf der spanischen Seite vor einigen Tagen eine Art Prämie für jeden Polizeibeamten:in in Aussicht gestellt – pro festgenommenen Menschen ohne gültige Papiere bekommt der:die Beamt:in mehr Urlaubstage. Das hat der Polizeichef auch so in der Zeitung verkündet, wodurch die Empörung der Presse und Zivilbevölkerung hochkochte. Wieder zeigten die Proteste ihre Wirkung und die Regelung wurde wieder aufgehoben.

Lasst uns von den Menschen im Baskenland lernen! Im gemeinsamen Kampf sind wir stark!

Grundsätzlich befasst sich die spanische Polizei jedoch weitaus weniger mit illegalisierten Menschen, da diese ja gerade dabei sind, das Land zu verlassen. Auf der französischen Seite sind Polizeikontrollen weitaus häufiger. Jedoch gibt es auch auf der französischen Seite Unterstützungsstrukturen und uns wurde allgemein der Eindruck vermittelt, dass sich die baskische Zivilbevölkerung häufig solidarisch mit illegalisierten Menschen zeigt und so eine Weiterreise ermöglicht.

Mehr Infos zur Gruppe „Irungo Harrera Sarea“ in Irun unter https://instagram.com/irungo.harrera.sarea?igshid=MzRlODBiNWFlZA

Hier geht’s zu Teil 2 des Reiseberichtes: https://nonationtruck.org/teil-2-ein-reisebericht-aus-dem-baskenland-kaixa-saludos-de-euskera-herria/

Januar-Update von der franz.-ital. Grenze

(EN below) Januar-Update von der franz.-ital. Grenze

Dieser Bericht ist eine Momentaufnahme über zwei Wochen im Januar an der italienischfranzösischen Grenze, um einen Eindruck von der Situation in Oulx und Cesana sowie den angrenzenden Orten in Frankreich im Winter zu bekommen. Die Entwicklungen vor Ort sind sehr dynamisch und hängen von vielen Faktoren, wie Wetter, politischem Druck, exaktem Standort und lokalen Support-Kapazitäten ab. Bei Erscheinen dieses Berichts, wird sich vieles bereits verändert haben.

Trotz der zum Teil extremen Witterungsbedingungen mit Temperaturen im zweistelligen Minusbereich, Schneefall und Lawinengefahr überquerten auch im Januar ca. 20-30 Menschen am Tag die Grenze zwischen Italien und Frankreich. Diese gefährliche und potentiell tödliche Überquerung der Grenze wird zusätzlich dadurch erschwert, dass seit Ende 2022 gar keine Busse mehr zwischen den Grenzstädten Claviere und Montgènevre fahren. Die Busverbindung wurde durch die Gemeinde bzw. das lokale Busunternehmen eingestellt, um die Bewegungen der Menschen auf diesem Weg zu kontrollieren. De Facto führt das dazu, dass Menschen noch gefährlichere und deutlich längere Wege zu Fuß über die Berge nehmen müssen. Vermehrt häufen sich auch Berichte von Aktivist:innen und People on the Move zum Einsatz von Drohnen seitens der französischen Grenzschutzbehörden, um Fluchtwege nachzuvollziehen und Menschen auf der Flucht zu Push-Backen. Auch in den zwei Wochen unseres Aufenthalts wurde uns von Push-Backs berichtet.
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January update from the french-italian Border

This report is a snapshot of two weeks in January at the Italian-French border to get an impression of the situation in Oulx and Cesana as well as the neighboring locations in France during winter. Developments there are highly dynamic and depend on many factors, such as weather, political pressure, exact location and local support capacities. By the time this report is published, many things will have already changed.

Despite the sometimes extreme weather conditions with temperatures in double digits below zero, snowfall and avalanche danger, about 20-30 people a day crossed the border between Italy and France also in January. This dangerous and potentially deadly crossing of the border is further complicated by the fact that since the end of 2022 there have been no buses at all between the border towns of Claviere and Montgènevre. The bus service was stopped by the municipality and/or the local bus company in order to control the movement of people on this route. De facto, this leads to people having to take even more dangerous and significantly longer routes on foot across the mountains. There are also increasing reports from activists and People on the Move about the use of drones by French border guards to track escape routes and push-back people on the move. During the two weeks of our stay, we also received reports of push-backs.

Workshop: Erste Hilfe in Grenzregionen

Ein bisher noch wenig bekannter Fact: Wir bieten Workshops für medizinische Ersthelfer:innen an, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von People on the move. Keine Vorkenntnisse nötig.

Aus unserer Erfahrung wissen wir, wie dringend medizinische Versorgung gebraucht wird: Eine Flucht nach Europa kann Monate oder sogar Jahre dauern. Unterwegs halten viele Menschen den widrigsten Bedingungen stand: Hitze, Kälte, Mangelernährung, schlechte hygienische Bedingungen, Krankheiten, Gewalt, körperliche Anstrengung oder psychische Belastungen. Gleichzeitig wird medizinische Versorgung mitunter systematisch verweigert, um die Menschen zusätzlich davor zurückschrecken zu lassen europäische Grenzen zu passieren.

Daher kann unser LKW bei Bedarf zum sicheren Behandlungszimmer umfunktioniert werden. Wir sind ausgerüstet mit dem nötigen Equipment für die Erstversorgung und haben wann immer es möglich ist medizinisch geschultes Personal an Bord.

Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass mehr Menschen in der Lage sind, denen die es brauchen, kostenlose medizinische Versorgung anzubieten. Daher haben wir gemeinsam mit medizinischem Personal aus dem Feld, einen Workshop entwickelt, der dieses Wissen leicht verständlich und mit praktischen Übungen weitergibt.

Zum Workshop gehört z.B. das Erlernen vom richtigen Umgang mit verschiedenen Wunden, z.B. Verbrennungen.

Den ganzen Reader findest du unter: https://nonationtruck.org/infomaterial/

#strongertogether #leavenoonebehind

Wir sind Teil der #StrongerTogether Kampagne!

Der No Nation Truck sind Teil der #StrongerTogether Kampagne!
Ob in der Ukraine, im Iran, in Afghanistan oder an den europäischen Außengrenzen: An vielen Orten leiden viel zu viele Menschen. Wir wollen trotz der herausfordernden Zeiten in Deutschland dafür sorgen, dass andere Menschen in Not nicht vergessen werden und zeigen, wie Zusammenhalt aussieht.
Dafür bringt Leavenoonebehind 40 Hilfsorganisationen zusammen. Sie evakuieren, versorgen, beraten und schützen. Sie retten Leben oder setzen Menschenrechte durch, sie fangen dort auf, wo Krisen besonders stark zu spüren sind. Und jetzt brauchen sie dich.
Denn diese Organisationen haben nicht nur gemeinsam, dass sie unfassbar gute Arbeit machen, leider teilen sie noch eine weitere Gemeinsamkeit: Ihnen fehlen Gelder, um ihre Arbeit, die jeden Tag Leben rettet, weiterzuführen.
Jetzt liegt es an uns, Zusammenhalt konkret zu machen! Für jedes Projekt haben wurde im Zuge der Kampagne eine Fundraisingaktion gestartet. Ziel ist es, das Geld für jede einzelne Organisation bis Weihnachten einzuholen. Unterstützung bekommen wir dafür von Prominenten Pat*innen. Aber um Erfolg zu haben, brauchen wir dich!

Rückblick: Der Truck ist zurück, die Grenze bleibt

Nach mehr als drei Monaten ist der No Nation Truck zurück von der italienisch-französischen Grenze. Wir fahren, als der Winter kommt. Von unserer Base in Oulx, auf etwas mehr als 1000 Metern, können wir bereits erste weiße Schneefelder in den Bergen sehen, durch die hier die Grenze verläuft. Es fühlt sich scheiße an zu gehen. Wir wissen, dass Menschen trotz erschwerter Wetterbedingungen, trotz erhöhter Grenzkontrollen, trotz Lawinengefahr weiter über diese Grenze in der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit fliehen werden.
Diese Grenze ist mit ihren Widersprüchen ein Sinnbild der rassistischen Abschottungspolitik Europas: Da gibt es die Luxusferiengäste, die gemütlich im Bus zur nächsten Instagramtauglichen Wanderung gondeln. Die sich mit einer Selbstverständlichkeit in den Bergen bewegen, wie sie nur ein europäischer Pass garantiert – gleichzeitig gibt es all die Menschen, die diese Grenze mit Todesangst überqueren. Nicht im Bus, sondern zu Fuß. Nicht in teuren Outdoorklamotten, sondern in Badelatschen und Wollsocken, auf dem Rücken wenn überhaupt nur die letzten privaten Gegenstände. Nicht mit touristischer Leichtigkeit, sondern mit der Gewissheit, dass in den satten Wäldern die Gefahr lauert, gepushbackt zu werden. Dutzende Länder haben sie zu Fuß durchquert, manche das Meer. Sie stehen am Ende ihrer Reise und auch ihrer Kräfte. Und dürfen doch nicht ankommen hinter dieser Grenze. Denn selbst wenn sie es bis Briançon, die nächstgrößere Stadt auf französischer Seite schaffen, sind sie noch nicht in Sicherheit. Die französischen Bullen führen Pushbacks noch mehrere Kilometer hinter der Grenze durch. Das Rote Kreuz in Oulx hilft mit.
Innerhalb unserer Monate vor Ort haben wir fast täglich erlebt, wie der Bus vom Roten Kreuz Italien in Kooperation mit der französischen Grenzpolizei Menschen zurück nach Oulx fuhr. Die gleichen Fahrer:innen, die sich an den Pushbacks beteiligen, betreiben hier eine Notunterkunft, in der Menschen auf der Flucht ein paar Nächte schlafen können. Allen ist klar, dass niemand hier bleiben will. Die Menschen wollen weiter nach Frankreich, Belgien, Deutschland oder UK. Viele sind gesundheitlich stark belastet. Sie kommen aus dem Iran, aus Kurdistan, aus Afghanistan, Tunesien und dutzenden anderen Ländern. Die meisten wollen direkt weiter. Keine Zeit verschwenden in diesem gefährlichen Landstrich, wo jederzeit eine Kontrolle, ein Pushback, eine Festnahme droht. Wenn sie morgens zum Frühstück zu uns in den Truck kommen, hören wir nur manchmal kurz Teile ihrer Geschichten.
Ein junger Mann erzählt von wochenlangem Ausharren in Wäldern auf der sogenannten Balkanroute, oft tagelang ohne Essen oder Trinken. Der Wald hat sich mit tiefen Narben in seine Hände und Füße gegraben. Er hinkt. Er will in der Nacht gehen, auch wenn dann schon Schnee fallen könnte.
Ein anderer erzählt, vor einer Woche noch auf dem Meer getrieben zu sein. Er habe zu einem Zeitpunkt nicht mehr damit gerechnet, die Reise zu überleben. Und jetzt ist da diese Bergkette vor ihm. Er sei noch nie in den Bergen gewesen, sagt er. Was, wenn ich runterfalle? Wenn ich nicht mehr kann? Wenn mich da oben die Polizei verprügelt? Er sagt auch, er habe gedacht, Europa, da sei er sicher.
Ein Mann, der morgens zum Truck kommt, um sich zu informieren, spricht uns auf Deutsch an. Er habe in Afghanistan lange als Lehrer für die Ausbilder der Bundeswehr gearbeitet. In einer Plastikhülle trägt er Papiere mit sich, die auf Deutsch geschrieben sind. Sie haben mich vergessen, sagt er, aber die Taliban, die haben nicht vergessen. Für ihn ist die Reise hinter der Grenze nicht zu Ende. Er will nach Deutschland.
Täglich besuchen 15-20 Personen den Truck, informieren sich, tauschen sich aus. Ob ihre Reise in Sicherheit endet, werden wir nicht erfahren. Dass es immer schwerer wird, diese Grenze zu passieren, spüren wir noch gegen Ende unserer Zeit in Oulx: Im Kindergarten neben unserem Base-Camp wird gewählt. Wir sollen bitte den Truck nicht so nah an der Einrichtung abstellen, wegen der Kinder, heißt es. Italien wählt an diesem Tag eine faschistische Regierung. Was der erneut institutionalisierte Faschismus für diese Region bedeutet, bleibt abzuwarten (siehe auch https://nonationtruck.org/kriegt-hier-ueberhaupt-jemand-mit-was-in-italien-gerade-passiert/).
Ein bisschen Hoffnung gibt es aber: Wir sehen und supporten weiterhin unsere Genoss:innen von Passamontagna, die mit aller Energie weiter in der Region für ein Recht auf Bewegungsfreiheit kämpfen und diesen Sommer erneut starken Repressionen ausgesetzt waren. Sie bleiben auch im Winter. Das Yallah, ein selbstverwalteter Squat oberhalb von Oulx steht immer noch. Und die Vergangenheit hat auch gezeigt: Räumen die Bullen einen Squat an der Grenze entsteht ein Neuer. Auch die Menschen werden nicht aufhören, zu Fuß diese Berge zu überqueren – egal wie lebensgefährlich diese Route ist und egal, wer in Italien regiert.
Die neue faschistische Regierung Italiens legt in ihrer Kommunikation nur offen, was die EU subtil schon seit immer betreibt. Eine Abschottungspolitik für reiche, für weiße und privilegierte Menschen auf Kosten von Menschenleben. Es ist die gleiche rassistische, gleichgültige und menschenverachtende Politik wie der offene Rassismus der italienischen Regierung, nur mit mehr Hybris. Deshalb wird der Truck weiter an Europas Grenzen unterwegs sein, überall, wo Menschen weiterkommen müssen, um in Sicherheit zu sein.
Der Truck ist zurück in Deutschland – In Wartung aber nicht in Stillstand! Wir halten euch auf dem Laufenden.

Spende von Second Bandshirt

Unsere neuen Freund:innen von Second Bandshirt haben uns einen dicken Scheck überreicht und helfen uns damit gerade ungemein. Dieses Geld kommt genau zur richtigen Zeit, denn finanziell lief zuletzt etwas schlechter als noch zu Beginn des Jahres.

Von 2600 € können wir einen ganzen Monat lang die Kosten für den Einsatz unseres LKWs finanzieren und einen neuen Pavillon zum Schutz vor Regen und Sonne kaufen, der zuletzt das Zeitliche gesegnet hatte. Von 2600 € könnten wir aber auch die Versicherungen und die Steuern für unseren LKW und unseren Transit für das ganze nächste Jahr bezahlen. 2600 € sind viel Geld für uns.

Die Gang von Second Bandshirt vermitteln deine Shirts gegen eine faire Spende und gibt den Erlös transparent weiter. Schaut doch mal bei ihnen vorbei und lasst etwas Liebe da: https://www.secondbandshirt.com/

Kriegt hier überhaupt jemand mit, was in Italien gerade passiert?

Kriegt hier überhaupt jemand mit, was in Italien gerade passiert?

// engl below

Seit ca. zwei Monaten wird Italien von einer neuen rechten Regierung regiert. Das rechte Bündnis holte zusammen 44% – angeführt von der jetzigen Premierministerin und Neo-Faschistin Giorgia Meloni. Meloni steht ganz offen zu ihren Verbindungen in die extreme Rechte.

Als eine der ersten Amtshandlungen schloss Italien vor zwei Wochen seine Häfen für die Schiffe der zivilen Seenotrettung. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere große Schiffe im Einsatz auf dem Mittelmeer und hatten viele Hundert Gerettete teilweise bereits seit zwei Wochen an Bord. Wir kennen die Geschichten, wie hoch die psychische Belastung für teils schwer traumatisierte Menschen an Bord ist: umso mehr Menschen gerettet werden umso enger wird der Platz an Deck, umso mehr Geschichten und Erfahrungen treffen aufeinander und über allem schwebt die ständige Angst doch noch zurück nach Libyen gebracht zu werden. Trotzdem begann Italien sein krankes Spiel, ausgetragen auf dem Rücken der Geretteten, ließ die Schiffe zwar doch noch in seine Häfen, um Kranke und Kinder von Bord gehen zu lassen und schickte den Rest aber wieder zurück aufs offene Meer. Zum Glück bewiesen die Schiffsführungen großen Mut und weigerten sich.

In Deutschland interessierte all das fast kein Schwein und es gab kaum Berichterstattung darüber. Wo ist die feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock, die sich angeblich gegen Gewalt und Diskriminierung stellt?

Unterdessen bat letzte Woche eine weitere Seenotrettungsorganisation erfolgreich darum in Frankreich anlanden zu dürfen, um Italien zu umgehen. Die rechte Regierung in Italien verkaufte dies prompt als ihren Erfolg, in nur wenigen Wochen Regierungszeit bereits das erste Seenotrettungsschiff los geworden zu sein. Frankreich stilisiert sich selbst zwar oft als großen Alliierten-Staat, der die Faschist:innen in Italien gern in ihre Schranken weist, betonte aber direkt dass diese Aktion eine einmalige Ausnahme bleiben wird, dass es vorerst keine Geflüchteten mehr aus Italien aufnehmen und die Grenzkontrollen zu Italien verstärken wird. Heute Morgen hörten wir die ersten Berichte von der franz.-ital. Grenze, das jedes einzelne Auto trotz Kilometerlanger Staus kontrolliert wurde. Das eskalierte schnell.

Am Wochenende verfassten die Mittelmeerstaaten Malta, Griechenland und Zypern, die bereits bekannt sind für Pushbacks, andere Gewalt und menschenunwürdige Praktiken an den Grenzen, unter der Federführung Italiens ein gemeinsames Schreiben gegen die zivile Seenotrettung – die jedoch nur stellvertretend für die Migrationspolitik der reicheren EU-Staaten herhalten muss, mit der sie von den Faschist:innen fälschlicherweise in einen Topf geworfen wird. Dieser Machtkampf wird sich bald genauso auf die Fluchtbewegungen und Hilfsorganisationen an Land auswirken.

Gekämpft wird hier nicht etwa um die Rechte der Menschen auf der Flucht, sondern darum wer sich (zuerst) gegen Zuwanderung abschotten darf und wer nicht. Die Grenze Frankreich-Italien wird somit immer unpassierbarer für Menschen, die eigentlich ein Recht darauf haben vor Krieg, Armut oder Unrecht zu fliehen. Wir erwarten die Berichte der kommenden Wochen von unseren Genoss:innen aus dem Squat Yallah und der Gruppe Kesha Niya mit großer Sorge.

/// English

Is anyone here even aware of what is happening in Italy right now?

For about two months, Italy has been governed by a new right-wing government. The right-wing alliance together won 44% – led by the current prime minister and neo-fascist Giorgia Meloni. Meloni is quite open about her ties to the far right.

As one of its first official acts, Italy closed its ports to civilian rescue ships two weeks ago. At that time, several large ships were already operating in the Mediterranean and had many hundreds of rescued people on board, some for two weeks. We know the stories of how high the psychological strain is for people on board, some of whom have been severely traumatized: the more people are rescued, the more cramped the space on deck becomes, the more stories and experiences come together, and over everything hangs the constant fear of being taken back to Libya after all. Nevertheless, Italy began its sick game, played out on the backs of the rescued, allowed the ships into its ports to let the sick and children disembark, but sent the rest back to the open sea. Fortunately, the ship’s leaders showed great courage and refused.

In Germany, almost no one was interested in all this and there was hardly any news coverage. Where is the feminist foreign policy of Annalena Baerbock, who supposedly opposes violence and discrimination?

Meanwhile, last week another sea rescue organization successfully asked to be allowed to land in France to bypass Italy. The right-wing government in Italy promptly presented this as its success in getting rid of the first sea rescue ship in just a few weeks of government. France often claims to be a great ally state that likes to put the fascists in Italy in their place, but it directly stated that this action will remain a one-time exception, that it will not accept any more refugees from Italy for now and that it will strengthen its border controls to Italy. This morning we heard the first reports from the French-Italian border that every single car was controlled despite kilometer-long traffic jams. That escalated quickly.

Over the weekend, the Mediterranean states of Malta, Greece and Cyprus, already known for pushbacks, other violence and inhumane practices at the borders, drafted a joint letter under Italy’s leadership against civilian sea rescue – which, however, is only used as a symbol for the migration policy of the richer EU states, with which it is falsely thrown into the same pot by the fascists. This power struggle will soon have the same effect on flight movements and aid organizations on land.

The fight here is not about the rights of people fleeing, but about who is allowed (first) to seal themselves off against immigration and who is not. The border between France and Italy is thus becoming increasingly impassable for people who actually have a right to flee from war, poverty or injustice. We await the reports of the coming weeks from our comrades from Squat Yallah and the group Kesha Niya with great concern.

Anekdoten von der italien.-franz. Grenze

Stacheldrahtzaun über den Mauern des Kirchengeländes. Ein hoch observiertes Eingangstor der Notunterkunft „Refugio Massi“. Die Sonne scheint, im Garten findet ein Fußballspiel statt. Ein 9-jähriges Mädchen spielt mit einem kleinen Welpen im Hof. Im Gemeinschaftsraum schlafen Leute auf den Tischen, obwohl eigentlich jeden Tag um 6:00 morgens geweckt wird. Am Tag zuvor seien so viele Menschen angekommen, dass die Kapazitäten der Unterkunft ausgeschöpft waren. Jetzt müssen alle raus. „Let’s go, Let’s go, let’s go!!!!“. Eine große Hektik bricht aus, keiner will den Bus nach Clavière verpassen. Doch im letzten italienischen Dorf werden bereits Carabinieri auf den Bus warten und die Leute zum Teil an die französische Gendarmerie an der Grenze übergeben. Falls Menschen die steilen Skipisten hochlaufen können, werden Sie spätestens im Wald von der französischen Polizei geschnappt. Push Backs werden von Tag zu Tag professionalisierter und gewalttätiger. Und trotzdem: auf dem Bild würdet ihr immer noch auch lächelnde Gesichter sehen können.

Vor ein paar Tagen berichtet uns eine Gruppe people on the move von einem Push back in den Bergen, als sie versuchten die Grenze nach Frankreich zu überqueren. Die Gendarmerie habe sie im Wald aufgeschnappt, wo sie den Kopf einer Person gegen einen Baum geschlagen haben. Die Polizeigewalt an der Mongenèvre-Grenze nimmt zu. Die Temperaturen sinken und bald wird es die ersten Schneefälle geben. Die Flucht übers Hochgebirge birgt viele Gefahren und einige Menschen nehmen die Unterstützung von aktivistischen Strukturen dankbar an.

Oulx, eine Gemeinde zwischen Tourismus und Rassismus. Zugegeben, hier gibt es die beste Pizza und das leckerste Pistaccio Eis, das wir jemals gegessen haben. Doch wie Touristen fühlen wir uns hier nicht. Im Gegenteil, gehen wir davon aus, von italienischen Ermittlungsbehörden beobachtet und überwacht zu werden. „We know everything, you are helping the migrants“, erklärte uns ein Digo um uns einzuschüchtern und uns kriminell fühlen zu lassen. Die absurde Perspektivverschränkung verdeckt aber den Blick auf die Realität. Wer ist es denn, die die Menschen an der Grenze zusammenschlagen und die Flucht so gefährlich machen, dass Menschen hier in den Bergen sterben?

Auch einige Anwohner:innen stören sich an der Anwesenheit von People on the move und an unserer Anwesenheit. Einige Eltern der Kita hier vor Ort haben sich beim Bürgermeister beschwert, der einen Digo zu uns schickte und uns zum Umparken anwies. Am gleichen Tag wurden wir über eine „Neuerung“ des Busfahrplans informiert. Der Bus von Oulx nach Claviére will ab sofort nur noch Schulkinder und keine migrantisierten Menschen mehr mitnehmen.

No Nation Truck ist wieder im Einsatz und hat Nachwuchs bekommen

No Nation Truck ist wieder im Einsatz und hat Nachwuchs bekommen
// eng below
… und zwar an der italienisch-französischen Grenze, wo unsere italienischen Genoss:innen rund ums Jahr Menschen versorgen und auffangen, die sich zu Fuß auf den beschwerlichen Weg über die Alpen gemacht haben. Anfang Juli ist unsere erste Crew in zwei Tagen aus dem Norden Richtung Grenze gefahren.
Neben dem Truck ist vor kurzem auch unser NoNation Transit – ein flexibleres Auto mit kleiner Schlaf- und Kochmöglichkeit – an der Grenze angekommen. Der Ausbau des Transit wurde aus Spenden finanziert. Er ermöglicht es uns, vor Ort flexibel einzukaufen, spontan zwischen den Bergdörfern hin und herfahren zu können und ein weiteres Crewmitglied mit einer Schlafmöglichkeit zu versorgen.
In Oulx, 20 Kilometervom Grenzübergang Clavière entfernt, haben wir den Truck als Anlaufstelle für Menschen auf der Flucht wieder aufgebaut. Oulx liegt auf 1500 Metern, die Grenze zu Frankreich nochmal 500 Meter höher. Menschen auf der Flucht nehmen momentan vor allem die Handyladestation des Trucks in Anspruch.
Wir beobachten auch, dass sich Strukturen in der Region verändern: Momentan wird wenig medizinische Versorgung unsererseits benötigt, da die ärztliche Versorgung durch solidarische Strukturen in der Region abgedeckt wird. Außerdem ist ein Refuge (Anlaufstelle) in der Nähe entstanden, sodass Menschen nicht mehr zwangsläufig beim Truck Unterschlupf suchen müssen. 
Allerdings wissen wir aus dem vergangenen Jahr, dass solidarische Strukturen in dieser Region schnell von Repressionsbehörden angegriffen und zerstört werden. Wir hoffen zwar das Beste, aber bleiben auf das Schlimmste vorbereitet. 
Vielen Dank an alle, die unsere Arbeit durch ihren Support möglich machen! 
Grenzenlose Solidarität,
Die No Nation Truck Crew
/// English
No Nation Truck is back in action and has a new companion
… at the Italian-French border, where our Italian comrades take care of people who have made the dangerous journey across the Alps by foot. At the beginning of July, our first crew left for a journey of two days before arriving in the border region. 
In addition to the truck, our NoNation Transit – a more flexible car with small sleeping and cooking facilities – recently arrived at the border. The extension of the transit was financed by donations. It enables us to move on site, to drive spontaneously between the mountain villages and to provide another crew member with a place to sleep. 
In Oulx, 20 kilometers from the Clavière border crossing, we have rebuilt the Truck as a safe stop for people on the move. Oulx is located at 1500 meters, the border with France lies another 500 meters higher. People on the move are currently making use of the truck’s cell phone charging station in particular.
We also observe that structures in the region are changing: At the moment, little medical care is needed on our part, as medical care is covered by solidarity structures in the region. In addition, a refuge (drop-in center) has been established nearby, so people no longer necessarily have to seek shelter at the truck. 
However, we know from last year that solidarity structures in this region are quickly attacked and destroyed by repressive authorities. While we hope for the best, we remain prepared for the worst. 
Many thanks to all who make our work possible through their support! 
In solidarity,
The No Nation Truck Crew