ende unserer ersten mission

Nach der Räumung des besetzten „Refugios“ am 5. August haben sich die solidarischen Strukturen auf Grund des gestiegenen Repressionsdrucks aus dem direkt an der französisch-italienischen Grenze liegenden Bergdorf Claviere zurückziehen müssen. Da das daneben liegende Grenzcamp, zu dem unser Truck gehörte, ebenfalls Ziel der Repressionen war, mussten auch wir uns einen neuen Standort suchen. Gefunden haben wir diesen in dem 16 km von der Grenze entfernten und ca. 1000 Höhenmeter tiefer gelegenen italienischen Ort Oulx. Von dort aus konnte das Team die unterstützende Arbeit wieder aufnehmen, blieb aber auch hier von Polizeikontrollen nicht verschont.


Auch während der Zeit in Oulx entwickelten die Behörden zahlreiche neue Methoden, um die Situation für Menschen ohne Papiere weiter zu verschlechtern:

  • Zwang, den Schengenraum zu verlassen: Eine Praxis war selbst der ortsansäßigen Anwältin neu: Bei Weigerung einen Asylantrag in Italien zu stellen, werden den aufgegriffenen Personen nun Schreiben ausgestellt, in denen die italienischen Behörden das Verlassen des Schengen-Raums innerhalb einer 10-tägigen Frist fordern. Andernfalls drohe den Personen die Abschiebung in ihr Herkunftsland. Bis dahin war nur die Aufforderung zum Verlassen von Italien bekannt, aber nicht von ganz Europa.
  • Kontrollen im öffentlichen Busverkehr: Zudem beobachteten wir erstmals Zugangskontrollen zu den Bussen, die von Oulx in Richtung französischer Grenze fahren. Hierbei wurde Menschen ohne Papiere der Zugang zu den Bussen verwehrt. Dass dies ohne rechtliche Grundlage geschieht, zeigt der Fakt, dass diese Kontrollen durch die Anwesenheit von solidarischen Menschen meist beendet oder garnicht erst begonnen wurden.
  • Erschwerung der Route: Ab dem 1. Oktober wurde die Anzahl der Busse zur französischen Grenze auf 2 pro Tag reduziert, weil das französische Bussunternehmen ZOU die Haltestellen zwischen Oulx und der Grenze gestrichen hat. Somit sind die Linien des Unternehmens nicht mehr für Menschen ohne Papiere nutzbar. Dies soll laut Unternehmen bis Anfang 2022 so bleiben. Das bedeutet das Menschen ausgerechnet im Winter viele Stunden länger der Kälte ausgesetzt sind, da sie eine deutlich(!) weitere Strecke zu Fuß durch die Berge gehen müssen. Die Grenze ist so zu einen noch schwerer zu überwindenden Hindernis geworden.

Um dieser Entwicklung zumindest ein Stück weit entgegenzuwirken, wurde von solidarischen Strukturen das seit Jahren leer stehende „Casa Cantoniera“ am 3. Oktober in direkter Nähe zur Grenze besetzt.
Da die Struktur des Trucks seitdem weniger nötig war und weiteres Bleiben durch den Ausfall der Heizungsanlage und den einsetzenden Winter unmöglich wurde, war es an der Zeit für uns, Oulx zu verlassen, um in Deutschland wichtige Reparaturen durchzuführen.


Der Struggle an den europäischen Innen- und Außengrenzen geht weiter: Kurz nach unserer Ankunft in Deutschland erreichte uns die Nachricht der erneuten Räumung des zuvor besetzten Hauses — die Situation könnte damit für Menschen ohne Papiere in der eisigen Bergregion in den kommenden Wintermonaten kaum schlimmer sein. 


Wir rufen dazu auf, euch weiter über die Entwicklungen in der Region unter https://www.passamontagna.info/?lang=en zu informieren und darüber nachzudenken, wie ihr helfen könnt!

Update // Räumung des “Refugio” nach nur einer Woche

Vor einer Woche haben solidarische Strukturen in Claviere eine ehemalige Zollstation besetzt, um der Repression in der Grenzregion eine sichere Anlaufstelle entgegenzusetzen. Dieser Ort war so lange Symbol von Kontrolle, Repression und einem wahnsinnigen Grenzregime – nun hat er für eine kurze Zeit das Gegenteil bezweckt.


Doch nur eine Woche später, am 5. August, wurde das neu errichtete „Refugio“ von der italienischen Polizei am frühen Morgen geräumt. Der No Nation Truck befand sich in unmittelbarer Umgebung der ehemaligen Zollstation und wurde ebenfalls Zielscheibe der Repressionen. Eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse: 

Was ist passiert? Die Crew des Trucks wurde morgens um 6 Uhr von Polizei durch Klopfen geweckt. Unsere Crew versuchte Ruhe zu bewahren. Die Crewmitglieder wurden aus dem Truck geführt und ihre Personalien aufgenommen. Dabei wurden sie abgefilmt, während die Cops den Truck durchsuchten. Im Anschluss wurde der Truck durch die Crew abgeschlossen. Bisher ist unklar, unter welchem Vorwand unsere Crew eine Anzeige zu befürchten hat. Anschließend wurde unsere Crew abgeführt und mit anderen Aktivisti im Squat festgehalten. Stundenlang dauerte die Personenerfassung vor Ort an. Die Außenkoffer des Trucks wurden aufgebrochen, während die Cops im LKW alles mit Kamera abfilmten. Unsere internationalen Genoss*innen wurden außerdem mit weiteren Klagevorwürfen unter Druck gesetzt und erkennungsdienstlich behandelt. Bei anderen Autos wurden z.B. Dachfenster aufgebrochen, um sich Zutritt zu verschaffen. Im Anschluss konnten alle vom alten Camp in Kolonne weggefahren.


Womit ist jetzt zu rechnen?Europäische Behörden haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, solidarische und selbstbestimmte Strukturen gegen das Grenzregime zu terrorisieren und in Grund und Boden zu klagen (siehe Iuventa10, El Hiblu etc.)


So ein Verfahren kann lange dauern, ist aber aussichtslos – weil Solidarität kein Verbrechen ist! Solidarische Netzwerke werden so lange bestehen, wie sie gebraucht werden und wachsen mit jedem Angriff nur enger zusammen.

UPDATE VON DER MONGENEVRE-GRENZE

Das Grenzcamp in Claviere, dessen Teil der No Nation Truck ist, leistet seit bald drei Monaten Widerstand!

Die Grenze und ihre tödliche Dynamik verändern sich weiter und von hier aus beobachten wir weiterhin die Gewalt, die die Staaten gegen diejenigen ausüben, die die Grenze überqueren wollen, und gegen diejenigen, die entschlossen sind, sich ihr zu widersetzen und dagegegen handeln.


An der Grenze sowie in den CPRs (Abschiebeknäste) und Gefängnissen ist die Gewalt des Staates dank des operativen Arms, den die humanitären Organisationen in Absprache mit der Präfektur und in direkter Zusammenarbeit mit der Polizei zur Verfügung stellen, spürbar. Das Rote Kreuz fährt jeden Abend nach Claviere um den aus Oulx kommenden Bus zu empfangen. Die Mitarbeiter:innen sind oft nach 22 Uhr abwesend, obwohl ihre angebliche Mission darin besteht, die medizinische Versorgung der Menschen zu gewährleisten, die die Berge überqueren oder sich auf der Flucht vor Gendarmerie, PAF (Police Aux Frontiéres – französische Grenzpolizei) und Militär verletzt haben.Tatsächlich beteiligt sich das Rote Kreuz in Absprache mit der italienischen und französischen Polizei an Push-Backs. In vielen Fällen ist der Krankenwagen selbst für den Transport der von der PAF abgewiesenen Personen in die Unterkunft in Oulx verantwortlich. Seit Monaten verteilen die Betreiber:innen des Roten Kreuzes ein Flugblatt, in dem sie die Menschen davor warnen, sich angesichts der Risiken in den Bergen in Gefahr zu begeben. Wir wissen, dass Berge gefährlich sein können, besonders wenn man nachts, in der Kälte und ohne Ortskenntnis wandert. Aber es ist die Anwesenheit der Polizei, die sie tödlich machen. Grenzen töten, sowohl im Mittelmeer als auch in Ventimiglia und in diesen Bergen, wo in den letzten Jahren vier Menschen gestorben sind und unzählige andere Opfer von Diebstahl, Schlägen und Übergriffen wurden. Auch in diesen letzten Wochen sahen wir Personen, die Verletzungen und Wunden erlitten, als sie vor der Polizei geflohen sind um so ihrer Kontrolle und Gewalt zu entkommen. Ebenfalls erlitt eine schwangere Frau eine Fehlgeburt, nachdem sie nachts zu Fuß die Grenze überquert hatte.


Repressionen haben auch gegen uns zugenommen: Jeden Tag werden wir observiert. Sie wollen uns einschüchtern und bedrohen, weil unsere Anwesenheit unangenehm ist, besonders mit der Ankunft der Sommersaison und des Tourismus.


Aus den Berichten von Menschen, die zurückgedrängt wurden, wissen wir, dass die italienische Polizei immer mehr in Pushbacks verwickelt ist. Uns wurde berichtet, dass die italienische Polizei vor einigen Tagen die Talitha Kum Unterkunft in Oulx betreten hat, um die Fingerabdrücke von vier Personen zu nehmen, die zuvor zurückgedrängt wurden.Vor ein paar Tagen wurde zudem bekannt, dass die Präfektur der Unterkunft 180 000 Euro zur Verfügung stellt. 


In den letzten Wochen kam die italienische Polizei in die französische Grenzpolizeistation (PAF), um vor Ort die Fingerabdrücke der in der Nacht verhafteten Menschen zu nehmen. Solche Kooperationen zwischen italienischer und französischer Polizei sind keine Überraschung, sondern ein klares Beispiel dafür, wie die Festung Europa ihre rassistische und unterdrückerische Politik gewaltsam durchsetzt, um das Leben von Menschen ohne Papiere zu verwalten und zu kontrollieren und um ihre inneren und äußeren Grenzen zu schützen. Es ist inzwischen gängige Praxis, dass Menschen, die zurückgedrängt wurden, einen Zettel bekommen, der sie verpflichtet sich auf der Turiner Polizeiwache zu melden. Das Stück Papier, die x-te Einschüchterung, stellt einen zwanghaften Versuch dar, Menschen, die unterwegs sind, in das System eines Staates zu integrieren, in dem sie offensichtlich nicht bleiben wollen.
Gegen Staaten, Grenzen und all ihre Kompliz:innen sollten wir uns organisieren und handeln.

Das widerständige, grenzüberschreitende Camp geht weiter, schließt euch uns an!

 

Neuer Einsatzort Oulx (Norditalien) 

Während unseren letzten Tagen am Ärmelkanal machten wir noch einmal am sogenannten BMX – einem Jungle in Calais – halt. Wir trafen dort auf eine Community aus Eritrea, deren Menschen mit uns überwiegend auf deutsch kommunizierten, da sie vor ihrem Aufenthalt in Frankreich mehrere Jahre in Deutschland verbracht haben. Es ist immer wieder erschreckend für uns, dass den Menschen so wenig Wertschätzung entgegengebracht wird und sie durch die hiesigen rassistischen strukturellen Bedingungen/Anforderungen wieder aus ihrer Wahlheimat verdrängt werden.  Da wir uns in den darauf folgenden Tagen in Richtung Oulx (Norditalien) aufmachten, verabschiedeten wir uns sowohl in Calais als auch am Grant Circle/Puthouck in Dunkirk von den dortigen Communities und starteten voller Enthusiasmus zu unserem neuen Einsatzort in Norditalien.

In Oulx befand sich seit 2018 das selbst verwaltetes Zentrum “Casa Cantoniera”, welches den Menschen, die die italienisch-französische Grenze überqueren wollten, zwischenzeitliches Obdach und viele andere Unterstützungsmöglichkeiten gewährte.
Dieses Zentrum unterlag einem großen Repressionsdruck der dortigen Behörden, die in diesem Jahr schlussendlich auch Mittel und Wege fanden, um das Zentrum zu schließen. Vor diesem Hintergrund verlauteten die italienischen Strukturen des ehemaligen “Casa Cantoniera” einen Ruf nach Unterstützung, da ihnen jegliche Infrastruktur genommen und jedweder unabhängiger Support auf der sehr gefährlichen Fluchtroute über die Alpen verunmöglicht wurde. Neben den italienischen Aktivsit*innen existieren nur wenige andere Organisationen, die sich dieser katastrophalen Situation annehmen. So findet man beispielsweise  eine mehr oder weniger improvisierte “Zeltstation” in Form eines einzelnen Kunststoffzelts vom Roten Kreuz. Folgt man aber Berichten ist jene Station keine echte Hilfe für People on the Move, da diese dort lediglich oberflächlich versorgt und nahezu paternalistisch behandelt werden. Somit war der No Nation Truck mehr als willkommen, um vor Ort ein Teil der Strukturen zu sein, die undogmatisch und direkte Unterstützung leisten wollen, ohne sich dabei einem institutionellen top-down Gefälle ergeben zu müssen. Der Auftakt unserer Ankunft war ein sogenanntes “Unlock the border Camp” am 14/15/16. Mai 2021, auf welchem unser Truck einen Teil der Infrastruktur stellte.

Das Wochenende kennzeichnete sich durch eine Demonstration, die die italienisch-französische Grenze überschritt und von Unterstützer*innen aus mehreren Städten und Communities besucht wurde. Neben der Demonstration fand ein großes Strukturplenum statt, in welchem unter anderem zukünftige Infrastrukturpläne besprochen wurden. Leider wurde auch dieses Wochenende von Polizeigewalt begleitet, wobei sich besonders die französischen Cops hervortaten und die friedliche Demonstration bedrängten.

Abschließend können wir durchaus von einem erfolgreichen  Wochenende durch das Camp sprechen. Dieses bestand länger als gedacht bis zum 19.05. Zudem konnte durch das Camp eine Struktur aufgestellt werden, die die Basic Needs von People on the Move sicherte. Allerdings müssen auch hier wieder die Repressionsorgane der örtlichen Grenzpolizei genannt werden, die sich aktiv an Push Backs in den Wäldern beteiligten. 
Unser Truck wird nun vorerst an der italienisch-französischen Grenze verweilen und vor Ort eine Anlaufstelle für Strom- und Nahrungsversorgung sowie für medizinische Ersthilfe sein. 

Abschlussbericht Calais

Die letzten Tage in Nordfrankreich sind für den NoNationTruck und seine Crew angebrochen. Wir wurden von einem Kollektiv in Italien angefragt, ob wir sie unterstützen können. Unser genaues Ziel werden wir in den kommenden Tagen bekannt geben.

Zurückblickend führte uns die erste Tour des Trucks in ein Gebiet, welches als Fluchhotspot 2015/2016 durch das große Camp „Jungle“mit bis zu 10 000 Bewohnerinnen bekannt wurde, allerdings schon seit den 90ern stetig als Anlaufpunkt für Menschen wuchs, die versuchten, nach England zu gelangen. So alt wie die Routen über die Hafenstädte Calais, Caen und Dunkerquerke schon sind, so lange gibt es dort auch schon Unterstützungsstrukturen. Diese Strukturen setzen sich aus unterschiedlichen Akteuren zusammen, welche gut organisiert flüchtende Menschen mit unter anderem Essen, Kleidung, Informationen und medizinischer Versorgung zu unterstützen. Waren es in den Anfängen insbesondere lokale Gruppen, Rentnerinnen und kirchliche Vertreterinnen, wuchsen internationale Organisationen mit dem Aufbau des „Jungle“ stark an und hatten finanziell auch immer mehr Möglichkeiten.

Die Unterstützung – so unser Eindruck – institutionalisierte sich, bekam ihre Routinen und auch die Öffentlichkeit „gewöhnte“ sich an das Elend, was dort herrscht. Gleichzeitig wird der staatliche Umgang mit den flüchtenden Menschen immer repressiver. Mit finanzieller Unterstützung aus Großbritannien wird das Polizeiaufgebot in der Region immer größer, flüchtende Menschen werden aus den Zentren der Städte verdrängt. Auch Gesetze wurden für die Region verschärft und die Rechtsprechung passt sich an. Menschen sollen mürbe gemacht werden, um abgeschreckt zu werden und möglichst kurz zu verweilen. Über die in diesem Zusammenhang zu erwähnenden regelmäßigen Räumungen haben wir bereits berichtet. In dieser Situation, in welcher die durchorganisierte Unterstützung der flüchtenden Menschen nichts daran zu ändern vermag, dass ihre Situation immer prekärer wird, fanden wir es nicht einfach, unsere eigene Rolle zu finden. Die Infrastruktur, die uns der Truck gibt – vornehmlich für Strom, Erste Hilfe und Essen – ist in Calais bereits sehr gut abgedeckt. Was es dort jedoch braucht sind Menschen, die diese Infrastruktur bespielen, aber auch den Blick für die politische Situation behalten. Menschen, die sich mit flüchtenden Menschen solidarisieren und gemeinsam mit ihnen kämpfen, anstatt sich als Helferinnen für unmündige Subjekte zu sehen.

Auf diesen gemeinsamen Kampf wollen wir weiterhin aufmerksam machen und ihn unterstützen. Beispielsweise durch mediale Aufmerksamkeit oder Unterstützer*innen. Von Orten wie Calais können wir alle viel lernen. Sei es wie sehr europäische Staaten alles dafür tun, um sichere Orte unzugänglich zu machen, wie sehr ihnen Menschen egal sind, die nicht die „richtige“ Staatsangehörigkeit haben. Aber auch wie all diese Bestrebungen, Menschen auf der Flucht nicht aufhalten können, wie sie weiter kämpfen, um ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten, auch wenn das bedeutet, jahrelang auf der Flucht zu sein, erneut in ein Schlauchboot zu steigen und das eigene Leben zu riskieren.Dieser Kampf ist nicht aufzuhalten und bedarf unser aller Solidarität.
Infos zu der Situation vor Ort findet Ihr u.a. unter https://calais.bordermonitoring.eu/

Update Dunkerque/Calais

Seit Ankunft des Trucks Anfang März fahren wir mehrmals wöchentlich zum Camp in den Park „Puythouck“, der mehr einer Brache gleicht und aufgrund des kleines Spielplatzes vor Ort, von allen nur der „Playground“ genannt wird. In dem informellen Camp leben zwischen 150 und 300 Menschen. Diese Zahl variiert stark, da dort eine hohe Fluktuation herrscht. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass es noch stetig Menschen gelingt, nach Großbritannien zu gelangen. Auch wenn bereits einige andere Gruppen vor Ort viele basic needs abdecken, wird unsere Ladestation, an der ungefähr 80 Endgeräte gleichzeitig laden können, sehr gut angenommen. Nach dem gemeinsamen Aufbau der Station, bleibt viel Zeit, sich auszutauschen und Tee zu trinken. Die individuellen Erlebnisse und Schicksale sind dabei vielfältig. Viele der Menschen haben bereits einige Jahre in Deutschland gelebt, doch aufgrund des Mangels von Perspektiven und der systematischen Ausgrenzung, sind viele weiterhin auf der Suche nach einem menschenwürdigeren Leben und versuchen daher nach Großbritannien zu gelangen. Zusätzlich haben wir bereits an einigen Freitagabenden für rund 100-150 Menschen gekocht, da an diesem Tag das Abendessen nicht von anderen Gruppen abgedeckt wird.
Dennoch sind die Menschen am “Playground” – wenngleich bedeutend weniger als in Calais – kontinuierlich immenser Repressionen durch die Polizei ausgesetzt. So werden Räumungen regelmäßig, als auch in unberechenbaren Zeitabständen duchgeführt, um die Bewohner*innen zu schikanieren. Bereits während unseres recht kurzen Aufenthalts in dieser Gegend, konnten wir beobachten, wie people on the move immer weiter in die Wälder des Parks zurückgedrängt, ihre Zelte zerstört werden und sie sich jedes Mal von Neuem zurechtfinden müssen.Letzten Freitag wurde das Camp erneut geräumt. Nur diesmal wurden die Zelte nicht einfach zerstört, sondern mit Baggern „abgetragen“ und zu einem neuen Ort, der ca. 5 km vom „Playground“ entfernt liegt, gebracht und dort wieder aufgebaut. Dieses neue Camp liegt abgelegen von der Stadt und der Straße, inmitten einer bewaldeten Brache neben Bahnschienen und einer Chemifabrik. Die Bewohner*innen des alten Camps wurden unter Androhung von Repressionen durch die Polizei dazu gebracht, mit ihren restlichen Sachen in das neue Camp  umzuziehen. Dort wurde sogar ein extra Bereich für die Arbeit der NGO‘s mit Kies aufgeschüttet und eine zusätzliche Wasserstelle installiert, die wohl gesagt viel zu klein für die hohe Anzahl an Menschen ist. Schon später am Tag wirkte es als existiere das Camp schon ewig.Die Strategie dieser Maßnahme ist offensichtlich. Camps wie dieses sollen außerhalb der Sichtweite der lokalen Bevölkerung verweilen, ganz nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Dass dies keine Verbesserung der grundlegend beschissenen Situation, sondern lediglich eine Verlagerung der humanitären Katastrophe an einen anderen Ort darstellt, ist hierbei wohl ebenfalls offensichtlich.

Solidarität statt Charity!

Aktuelle Situation in Calais/Dunkerque

Aktuelle Situation in Calais/Dunkerque

Da es keine akute Dringlichkeit mehr für uns und den Truck in Caen gab (s. vorheriger Post), haben wir uns im Norden Frankreichs nach anderen Orten umgeschaut. Diesbezüglich sind wir unter anderem mit Aktivist*innen aus Calais und Umgebung in Kontakt getreten. Eine Region, die seit mehreren Jahren eine geografische Schnittstelle für Fluchtbewegungen in Europa darstellt. Calais und Umgebung beherbergt eine große Zahl Geflüchteter, die zudem einer immensen staatlichen Repression ausgesetzt sind. Aufgrund dessen haben wir uns vorerst dazu entschieden unsere Arbeit dorthin zu verlegen.

Die Stadt Calais ist vielen sicherlich ein Begriff, denn durch ihre geographische Lage an der mit 34 Kilometern engsten Stelle des Ärmelkanals, in deren Mitte die französisch-britische Staatsgrenze verläuft, ist sie seit jeher von Mobilität und Migration geprägt. Seit der Räumung des großen „Jungle“ im Herbst 2016 hat sich die Situation der Menschen auf der Flucht immer weiter prekarisiert. Der Zugang zu medizinischer Versorgung, Strom, Essen wird erschwert und eine erneute Urbanisierung der Camps soll mit allen Mittel verhindert werden. So leben derzeit etwa ungefähr 900 Menschen in kleineren informellen Camps, die sich in der Regel auf Grundstücken der Stadt befinden (Parks, Grünflächen, Parkplätze etc.) und deshalb ohne Räumungstitel geräumt werden dürfen. Daraus hat sich die perfide Routine entwickelt, dass die Camps alle zwei Tage durch die Cops geräumt werden, um einige Stunden später wieder genau dort errichtet zu werden. Da die Polizei alle persönlichen Gegenstände, Zelte und Feuerstellen zerstört, packen die Camp-Bewohner*innen ihre Sachen selbst zusammen, bringen sie weg und warten, bis die Polizei sich wieder entfernt. Vieles davon ist bereits sehr gut dokumentiert. [1] 

Trotz repressiver staatlicher Taktiken und erschwerter Bedingungen aufgrund der Corona-Pandemie sind weiterhin viele Organisationen vor Ort, welche die Versorgung mit Essen, Kleidung, Erster Hilfe und Feuerholz gewährleisten. Deswegen haben wir unseren Fokus auf den Raum Dunkerque verlagert, das knapp 40 km östlich von Calais liegt und nach diesem die am zweitstärksten frequentierte Fährverbindung zwischen dem Festland und Großbritannien ist. Entsprechend existieren seit den frühen 2000er Jahren auch im Raum Dunkerque kleine informelle Camps, so etwa in Téteghem und in der Kleinstadt Grande-Synthe, von der aus sowohl der Fährhafen als auch die zugehörigen Infrastrukturen des Fernlastverkehrs gut erreichbar sind. [2], [1, S.102] 

Das größte Camp dort befindet sich in einem Erholungs- und Naturgebiet namens Puythouk in Grande-Synthe, wo sich eine zum größten Teil kurdische Community aus dem Irak, Iran und Syrien aufhält. Auch dort gibt es einige Gruppen, die sich um die essentiellen Bedürfnisse kümmern und nach Vernetzung und Absprache mit ihnen, haben wir beschlossen, dort mit dem Truck regelmäßig eine Ladestation aufzubauen und gelegentlich zu kochen. Dazu im nächsten Beitrag mehr.

[1] https://bordermonitoring.eu/wp-content/uploads/2018/08/bm.eu-report-2018-calais-web.pdf)

[2] https://calais.bordermonitoring.eu/2020/03/25/vorgeschichte-teil-2-grande-synthe/#more-38)

Ein Update aus Frankreich

Für unsere erste Mission haben wir eine Scouting Crew nach Caen, Nordfrankreich geschickt um die Situation vor Ort zu analysieren und abzugleichen, ob und wie unser Truck mit unseren Leistungen supporten kann.  Caen liegt in der Normandie und obwohl die Gegend nicht zwingend dafür bekannt ist, befinden sich auch hier viele People on the Move. Momentan sind laut Einschätzung von lokalen Gruppen, mit denen wir uns dort vernetzt haben, ungefähr 500 Menschen unterwegs. Ein Teil davon will Asyl in Frankreich beantragen, viele aber wollen nach Großbritannien. 

 Im Rahmen des Plans Grand Froid (Großer Kälte Plan), eine Maßnahme, die in Frankreich existiert, um Menschen vor extremer Witterungsbedingungen im Winter zu schützen, sind ein Großteil der Menschen zurzeit in Notunterkünften untergebracht. Allerdings läuft diese Maßnahme nur für die Monate extremer Kälte, danach werden die Leute wieder auf die Straße gesetzt. Diejenigen, welche die Bedingungen für diese Notunterkünfte nicht erfüllen, müssen weiterhin auf der Straße bleiben, auch bei Minustemperaturen. Dies betrifft meist Männer oder Jugendliche, die alleine fliehen. Lokale Gruppen bringen flüchtende Menschen in für sie besetzten Häusern unter, sind jedoch seit letztem Jahr mit verstärkter Repression und vermehrten Räumungen konfrontiert (2020 waren es 12). 

Unsere Crew war in drei verschiedenen inoffiziellen Camps (sog. wild camps). Das erste, bekannteste und größte ist in Ouistreham, einer kleinen Hafenstadt rund 14 Kilometer von Caen entfernt. Als unsere Crew vor Ort war, haben rund 60 Menschen dort gewohnt, zwischen 13 und 35 Jahren alt, die meisten aus dem Sudan. Ein Großteil von ihnen woltlte nach Großbritannien. Einmal die Woche kommt eine staatliche Reinigungsfirma, begleitet von der Gendarmerie (Militärpolizei), um das Camp „zu reinigen“, was einer routinierten Räumung gleichkommt. Saubermachen tun sie nicht wirklich, es ist eher eine Taktik, um die Menschen zu zermürben und einzuschüchtern, da sie alle ihre persönlichen Gegenstände und Zelte zusammenpacken müssen und Rückzugsorte zerstört werden. In Frankreich rotieren die Einheiten der Polizei alle zwei Wochen, damit sie keine Empathie mit den Menschen aufbauen. In Ouistreham sind viele starke lokale Gruppe aktiv, die sich um Notversorgung wie Essen, Holz, Klamotten, Schuhe, Strom und medizinische Betreuung kümmern. Jeden Tag sind mindestens zwei Gruppen vor Ort und die Leute, mit denen wir in den Camps geredet haben, schienen sich mit dem existierenden Support zufrieden zu fühlen. Insbesondere der Zusammenhalt der Community und die Selbstorganisation inklusive kollektiver Selbstverteidigung bei Polizeigewalt hat unsere Crew beeindruckt.

 In der Stadt Caen hat unsere Crew zwei weitere Squats mit jeweils ca. 20 Menschen aus der afghanischen Community kennengelernt. Dort wollen oder haben die Menschen schon in Frankreich Asyl beantragt, haben aber das Problem, dass ihnen keine Unterkünfte gestellt werden, obwohl sie rechtlich eigentlich einen Anspruch darauf hätten. Auch hier werden die Communities von lokalen Gruppen unterstützt und können sich tagsüber im „Willkommens Center“ aufhalten, wo Essen, WLAN, Strom und Duschen zu Verfügung gestellt werden. In Cherbourg, einer anderen Hafenstadt rund 120 Kilometer von Caen entfernt, von wo aus täglich Fähren nach Irland und Großbritannien fahren, existiert ein weiteres inoffizielles Camp mit circa 25 Menschen, die meisten von ihnen aus Afghanistan. Dort gibt es eher individuellen Support als politische Gruppen, es gibt jedoch auch weniger Konflikte mit der Polizei. Die Menschen berichteten uns aber, dass die Hafensecurities sehr brutal mit ihnen umspringen, sie schlagen und den gehassten Spürhund auf sie hetzen. Auch hier sind die Menschen sehr gut selbstorganisiert.

ERSTE MISSION. NORDFRANKREICH

Überblick:

Seit Mitte Januar ist unsere Spotting Crew für den No Nation Truck in Nordfrankreich unterwegs und verschafft uns einen Überblick zur Situation geflüchteter Menschen in der Region. Entlang der Küste gibt es mehrere Häfen mit täglichen Fährverbindungen nach Großbritannien bzw. Irland. Durch den Brexit entstand dieses Jahr (2021) hier eine weitere Außengrenze der EU.

Ziel dieser Crew ist es die Bedürfnisse der Flüchtenden zu erfragen, herauszufinden wie das Verhältnis der Menschen zu Anwohner*innen, lokalen Unterstützungsstrukturen sowie den sogenannten Sicherheitsbehörden ist und final die Ankunft des LKWs vorzubereiten.

Aus verschiedenen Gründen versucht ein Teil der Menschen mit Fähren in die UK oder nach Irland überzusetzen. Einerseits gibt es dort durch die Kolonialgeschichte größere migrantische Communities von Menschen aus einigen Regionen.

Außerdem wird sich durch die Amtssprache Englisch ein leichterer Zugang zu Arbeit und sozialer Teilhabe erhofft.

Der Brexit stellt nun alle vor große Fragen und bereits jetzt ist zu beobachten, dass sich die Routen beispielsweise nach Irland verschieben. Wir wissen von mehreren wilden Camps in der Gegend und haben diese teilweise schon besucht um uns ein Lagebild zu machen und die Bedürfnnisse der Menschen einschätzen zu können.

Durch die gegenwärtige Corona Lage und der neuen Mutation des Virus in Großbritannien fahren viel weniger LKW´s, es gibt verschärfte Kontrollen mit Hunden und es findet ein technisches Aufrüsten statt. Die Grenzanlagen an den Häfen werden verstärkt, mehr Cops eingestellt und Hightech Scanner sowie andere Überwachungstechnologien werden installiert.

Ende letzten Sommers waren schon zwei Menschen aus unserem Kollektiv hier, haben erste Erfahrungen in dieser Region gesammelt und sich mit lokalen Strukturen vernetzt.

In den vergangenen Wochen standen wir mit vielen Menschen und Gruppen im Austausch, welche uns sehr herzlich und tatkräftig willkommen geheißen und bei vielem unterstützt haben.

Aktuelle Lage:

Die Lage hier hat sich, im Vergleich zum letzten Sommer, unerwarteter (und glücklicher) Weise verbessert:

Erstens sind viele lokale Gruppen regelmäßig bei den Menschen in den Wildcamps. Sie verteilen dort kaltes wie warmes Essen, bringen Wasser und schauen den Cops auf die Finger, wenn diese mit einem städtischen Reinigungsdienst jede Woche kommen und ihre Macht demonstrieren.

Zweitens wurden einige Menschen aufgrund der eisigen Temperaturen in Hostels untergebracht (in denen es allerdings an Kochmöglichkeiten fehlt) und das französische Gesetz lässt Räumungen von besetzten Häusern während des Winters weniger zu. Lokale Gruppen rechnen allerdings mit Gesetzesverschärfungen und einem Anstieg der Repression gegen Besetzungen in der bevorstehenden Zeit.

Andererseits haben wir die Befürchtung, dass sich die Lage mit Frühlingsanbruch und abfallenden Corona Zahlen schnell wieder verschlechtern könnte, weil Menschen wieder auf die Straße gesetzt werden sobald der Staat keine hässlichen Bilder von Kälte- und Corona Toten mehr befürchtet.

Was es zusätzlich zu beobachten gilt, ist wie in vielen anderen Grenzregionen auch, systematische rassistische Gewalt von lokalen Behörden wie Frontex, der Gendarmerie und der Polizei. Wir haben etliche Erlebnisberichte von Polizeigewalt gehört, bei denen Menschen von den Cops 30 km weit verschleppt wurden und ohne Schuhe und Telefon in der Nacht ausgesetzt wurden und den Weg zurück zu Fuß finden mussten. Das Borderviolence Monitoring wäre hier sehr nützlich, um die systematische Grenzgewalt aufzuzeigen.

Insgesamt stellen wir fest, dass in Frankreich sehr viele Geflüchtete mit unterschiedlichen Zielen festhängen und sich meist in Gruppen von 20-50 Menschen zusammenfinden um sich gegenseitig zu unterstützen und auf ihrem Weg weiterzukommen oder die langwierigen Wartezeiten für die Asylprozesse zu überstehen. Laut Aussagen der aktiven Locals nimmt die Repression in Form von Räumungen, Kontrollen, neuen Gesetzen und Gewalt deutlich zu. Mit dem No Nation Truck wäre es möglich, Erste Hilfe und warmes Essen anzubieten, um somit mobil und flexibel auf die Gewaltverschärfung zu reagieren.

Aufbruch:

Momentan stehen wir vor der Aufgabe, auf die veränderte Situation angemessen zu reagieren. Uns ist ein verantwortungsvoller und transparenter Umgang mit unseren Unterstützer*innen wichtig.

Deshalb haben wir uns dazu entschieden, dass der No Nation Truck in wenigen Tagen Richtung Nordfrankreich losrollen wird. Wir werden unseren Fokus darauf umlegen, bereits bestehenden Strukturen mit dem was der LKW kann solidarisch zuzuarbeiten. Wir möchten dazu beitragen, die örtliche Szene stärker in das europaweite No Border Netzwerk einzubinden, Grenzgewalt zu dokumentieren und zu veröffentlichen.

Unser Ziel bleibt es weiterhin den LKW schnellstmöglich in Richtung Balkan zu lenken, da die Umstände für flüchtende Menschen in dieser Region Europas sicher am katastrophalsten sind und unser Gefährt auf die Bedürfnisse der Menschen dort konzipiert wurde.

Bis uns der Weg in den Balkan mit dem LKW möglich ist wird der Truck und die Crew in der französischen Normandie auf Mission sein um die hier von der EU im Stich gelassenen Menschen zu unterstützen und die blinden Flecken der europäischen Abschottungspolitik sichtbar zu machen und anzuprangern.

P.S.: Wir halten weiterhin die Ohren offen um schnell reagieren zu können, wenn wir von neuen wilden Camps hören, in denen es eine größere Notwendigkeit für mobile Infrastruktur (Strom, Wasser, Küche, Medizin. Ersthilfe) gibt.

Also lasst uns unbedingt wissen, wenn ihr von solchen Orten in Europa wisst!

 

Solidarische Grüße, NNT.

Jahresrückblick 2020 // Revue de l’année 2020

[en français ci-dessous]

Liebe Unterstützer*innen und Mitleser*innen, liebe Community,

wir blicken auf ein ereignisreiches Jahr 2020 zurück. Seit nun fast einem Jahr verfolgt uns die Corona Pandemie und die damit verknüpften Einschränkungen nahezu in alle Lebens-, Arbeits- und Politikbereiche. Auch unsere politischen Tätigkeiten und ursprünglichen Pläne wurden davon teilweise beeinflusst. Jedoch können und konnten wir uns irgendwie flexibel arrangieren, verschiedene Vorhaben anpassen und gemeinsam alternative Ideen entwickeln. Für Geflüchtete, die teilweise seit Jahren in den Lagern und Wäldern der europäischen Außengrenzen ausharren müssen, ist mit der Coronapandemie hingegen ein weiterer Faktor hinzugekommen, der die humanitäre Katastrophe nur noch weiter verstärkt. In den Lagern der Ägäischen Inseln Lesbos, Samos und Chios ist es zum Beispiel seit Monaten weder möglich die notwendigen Abstände einzuhalten oder Hygieneartikel für alle Bewohner*innen zu erwerben, noch stehen ausreichend Masken zur Verfügung, um sich selbst und andere vor einer Infektion zu schützen. Die desaströsen Isolationsbedingungen für Infizierte und ihre Kontaktpersonen sowie die generellen medizinischen Verhältnisse verweisen in den Zeiten der Pandemie einmal mehr darauf, für welche Menschen innerhalb der EU Gesundheitsschutz gilt und für welche nicht [1],[2]. Doch auch in anderen Hotspots der EU, wie an der französischen Nordwestküste oder der sogenannten Balkanroute, manifestieren sich menschenverachtende Bedingungen. So werden seit Monaten in den Küstenregionen des Ärmelkanals in Frankreich provisorische Camps von den örtlichen Repressionsbehörden brutal geräumt. Menschenrechtsbeobachter*innen dokumentierten dabei kürzlich wie die Bullen Zelte und Planen mit Messern zerstörten und übrige persönliche Gegenstände, wie Kleider, Taschen oder Mobiltelefone vernichteten. Mittels solcher repressiver Strategien wurden bis zum 8. Dezember über 984 Räumungen in und um Calais durchgeführt. Dabei wurde die Arbeit der Menschenrechtsbeobachter*innen regelmäßig durch die Behörden torpediert, teilweise unter dem Vorwand der Corona-Bestimmungen [3]. Ähnlich geht es auch auf der sogenannten Balkanroute zu. So berichtet der Border Violence Report monatlich über kontinuierlich stattfindende (illegale) Pushbacks aus Kroatien oder gar angrenzenden Staaten, wie Slowenien. Die kroatischen Bullen stechen dabei allerdings mit ihren Folterpraktiken und körperlichen Misshandlungen besonders hervor [4]. Seit Jahren existieren Dokumentationen darüber, wie Geflüchtete illegal nach Bosnien oder Serbien zurückgedrängt werden. Das geht einher mit vorsätzlicher, strategisch geplanter, mutwilliger und kollektiv organisierter Körperverletzung der Geflüchteten sowie der Zerstörung all ihrer persönlichen Gegenstände [5],[6]. In diesem Jahr wurden darüber hinaus in der internationalen Presse Fälle veröffentlicht, in denen die kroatische Polizei Geflüchtete mit Farbe markierte, bevor der illegale Pushback nach Bosnien vollzogen wurde [7].
Diese Vorfälle würden sich nicht nur nahezu unendlich fortführen lassen, sie unterstreichen insbesondere den rassistischen Charakter der europäischen Grenzpolitik und eine nicht mehr zu verharmlosende politische Strategie des europäischen Grenzregimes, die schlussendlich auf Abschreckung setzt, anstatt den eigenen liberal-demokratischen Wertevorstellungen und Gesetzeslagen zu folgen.

Wir als No Nation Truck wollen diesen Kontinuitäten etwas entgegensetzen. Seit mehr als einem Jahr organisieren wir unsere erste Mission, die zwar zu keiner radikalen Transformation des grenzpolitischen Rassismus Europas führt, allerdings die notwendige praktische Solidarität mit sich bringt, um auf diese Zustände zu antworten. An unserem LKW werden momentan die letzten Baumaßnahmen getroffen, sodass unsere Operation bald starten kann. Wie wir bereits seit Beginn des Projekts ankündigten, werden wir in unserer 7,5t Kiste eine Menge warme Mahlzeiten kochen können, medizinische Erstversorgung leisten und ein starkes Stromversorgungssystem bereitstellen, um circa 50 Endgeräte auf einmal zu laden. Trotz einiger Verzögerungen sind wir schlussendlich sehr stolz darauf, dass unsere ursprünglichen Pläne erfolgreich umgesetzt werden konnten und die praktische Arbeit an der Außengrenze endlich beginnen kann. Nachdem wir in den zurückliegenden (vergangenen) Monaten viel Zeit damit verbracht haben über Crewing, gegenwärtige Aufgabengebiete sowie interne Strukturen zu diskutieren und zukünftige Strategien und Handlungsspielräume zusammen ausloteten, starten wir mit einer hohen Motivation ins neue Jahr. Schwerpunktmäßig werden wir neben der Bereitstellung der eben genannten Basic Needs darauf setzen, zusammen mit weiteren Netzwerken Grenzgewalt zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Dabei heißen wir es willkommen, wenn sich neben bzw. mit uns zusammen andere Graswurzelnetzwerke gründen, die ebenfalls einen Teil dazu beitragen, dass die rassistischen Ungerechtigkeiten der europäischen Migrationspolitik nicht kommentar- und tatenlos hingenommen werden. Herrschende politische Akteur*innen gehören unter Druck gesetzt und Menschen in Notsituationen dürfen schlichtweg nicht sich selbst überlassen werden! 
Wir möchten zudem unterstreichen, dass es möglich und notwendig ist politische Projekte auf den Weg zu bringen und sich dabei durch Selbstorganisierung, Autonomie und Kollektivstruktur handlungsfähig zu machen und dabei Prozesse der Selbstermächtigung anzustoßen. 

Wir bedanken uns bei den vielen Unterstützer*innen, allen tatkräftigen und solidarischen Händen, die Solipartys und Plattformen organisieren, durch die wir unser Projekt finanzieren und bewerben können. Ein großer Bestandteil unserer (immer noch nicht perfekt ausgeprägten) gegenwärtigen Professionalität resultiert aus der großartigen Unterstützung, die wir auf vielen unterschiedlichen Ebenen erhalten haben. 

Stay tuned, stay rebel – Ihr werdet von uns hören! Solidarische Grüße, Euer No Nation Truck!

[1] – https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-migrantencamps-moria-hilfsorganisationen-100.html

[2] – https://www.spiegel.de/panorama/camps-fuer-fluechtlinge-in-griechenland-hier-koennen-wir-nicht-leben-a-b13c66e2-fc41-4ec3-b639-e496e470ed43

[3] – https://calais.bordermonitoring.eu/2020/12/09/auf-dem-weg-zur-tausendsten-raeumung/?fbclid=IwAR1rNADiuekEEP1Nb2FQtiKp6UTvtiMBOIfJbmxkFGq_83kKrYw5oaryzDk

[4] – https://www.dw.com/de/kroatien-pushbacks-im-interesse-der-eu/a-55702940

[5] – https://www.borderviolence.eu/background/

[6] – https://www.borderviolence.eu/category/monthly-report/

[7] – https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/12/croatian-police-accused-of-shaving-and-spray-painting-heads-of-asylum-seekers

 

version française:

Chers supporters et lecteurs, chère communauté, 

Nous avons eu une année plein d‘événements. Depuis près d’un an maintenant, la pandémie et les restrictions qui y sont associées nous suivent dans presque tous les domaines de la vie, du travail et de la politique. Même nos activités politiques et nos projets initiaux en ont été partiellement affectés. Cependant, nous avons pu nous organiser de manière flexible, adapter divers projets et développer ensemble des idées alternatives. D’autre part, pour les réfugiés, dont plusieurs ont été contraints de survivre pendant des années dans les camps et les forêts des frontières de l’Europe, la pandémie de Covid a ajouté un autre facteur qui ne fait qu’aggraver la catastrophe humanitaire. Dans les camps des îles égéennes de Lesbos, Samos et Chios, par exemple, il n’est pas possible depuis des mois de maintenir les distances nécessaires ou d’acheter des produits d’hygiène pour tous les résidents, et il n’y a pas non plus suffisamment de masques pour se protéger et protéger les autres de l’infection. Les conditions d’isolement désastreuses pour les personnes infectées et leurs contacts ainsi que les conditions médicales générales en temps de pandémie montrent une fois de plus à quelles personnes dans l’Union Européene la protection de la santé s’applique et à quelles personnes elle ne s’applique pas [1], [2].

Mais les conditions inhumaines se manifestent également dans d’autres points chauds de l’UE, comme la côte nord-ouest française ou la route des Balkans. Depuis des mois, des camps provisoires dans les régions côtières de la Manche en France sont brutalement détruits par les autorités répressives locales. Observateurs des droits humains ont récemment documenté la façon dont les flics ont détruit des tentes et des bâches avec des couteaux et ont détruit d’autres effets personnels comme des vêtements, des sacs et des téléphones portables. Avec ces stratégies répressives, plus de 984 évacuations ont été effectuées à Calais et ses environs à la date du 8 décembre. Dans ce processus, le travail des observateurs des droits humains  a été régulièrement torpillé par les autorités, parfois sous le prétexte du règlement Corona [3].  

La situation est similaire sur la route des Balkans. Border Violence Report, fait compte tous les mois sur les refoulements continus (illégaux) de la Croatie ou même de pays voisins comme la Slovénie. Les flics croates, cependant, se distinguent par leurs pratiques de torture et leurs abus physiques [4]. Plusieurs rapports exposent la manière dont les réfugiés sont repoussés illégalement en Bosnie ou en Serbie. Ces refoulements s’accompagnent de agressions corporelles préméditées, stratégiquement planifiées, gratuites et collectivement organisées contre les réfugiés, ainsi que de la destruction de tous leurs biens personnels[5],[6]. De plus, cette année, des cas ont été publiés dans la presse internationale dans lesquels la police croate a marqué des réfugiés avec de la peinture avant que le retour illégal en Bosnie ne soit terminé [7].  

Ces incidents non seulement se poursuivent presque indéfiniment, comme ils soulignent en particulier le caractère raciste de la politique des frontières européennes et une stratégie politique du régime frontalier européen qui ne peut plus être minimisée et qui repose finalement sur la dissuasion au lieu de suivre ses propres valeurs et lois libérales-démocratiques.

Nous, la No Nation Truck, nous voulons resister ces continuités. Depuis plus d’un an, nous organisons notre première mission, qui ne conduit pas à une transformation radicale du racisme politique aux frontières de l’Europe, mais apporte avec elle la solidarité pratique nécessaire pour répondre à ces conditions. En ce moment, ont est en train de finir les dernières réparations sur notre camion, pour que notre opération puisse commencer bientôt. Comme nous l’avons annoncé depuis le début du projet, nous pourrons cuisiner plein de repas chauds dans notre boîte de 7,5 tonnes, fournir des premiers soins médicaux et préparer un système électrique solide pour charger environ 50 portables à la fois. Malgré quelques retards, nous sommes finalement très fiers que nos plans initiaux aient pu être mis en œuvre avec succès et que les travaux pratiques à la frontière extérieure puissent enfin commencer.  

Après avoir passé beaucoup de temps ces derniers mois à discuter sur les aspects de Crewing, des tâches actuelles et sur les structures internes ainsi que à explorer ensemble les stratégies et les possibilités d’action futures, nous commençons la nouvelle année avec un niveau de motivation élevé. En plus de répondre aux besoins fondamentaux mentionnés ci-dessus, nous nous concentrerons sur la documentation et la publication de la violence aux frontières, en collaboration avec d’autres groupes actives sur le sujet. On serais aussi ravis si d’autres groupe se connectent à nos côtés ou avec nous, ce qui contribu également à garantir que les injustices racistes de la politique européenne en matière de migration ne soient pas acceptées sans commentaire ni action. Les acteurs politiques au pouvoir doivent être mis sous pression et les personnes en situation d’urgence ne doivent tout simplement pas être laissées à elles-mêmes !  Nous voudrions également souligner qu’il est possible et nécessaire de lancer des projets politiques et de se rendre capable d’agir par l’auto-organisation, l’autonomie et la structure collective et d’initier des processus d’autonomisation.  

Nous tenons à remercier tous nos supporters, des mains énergiques et solidaires, qui organisent des fêtes et des plateformes de solidarité, grâce auxquelles nous pouvons financer et promouvoir notre projet. Une grande partie de notre professionnalisme actuel (qui n’est pas encore parfait) résulte du grand soutien que nous avons reçu à différents niveaux.  

Restez à l’écoute, restez rebelles – vous aurez de nos nouvelles ! Salutations de solidarité, votre No Nation Truck!

[1] – https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-migrantencamps-moria-hilfsorganisationen-100.html

[2] – https://www.spiegel.de/panorama/camps-fuer-fluechtlinge-in-griechenland-hier-koennen-wir-nicht-leben-a-b13c66e2-fc41-4ec3-b639-e496e470ed43

[3] – https://calais.bordermonitoring.eu/2020/12/09/auf-dem-weg-zur-tausendsten-raeumung/?fbclid=IwAR1rNADiuekEEP1Nb2FQtiKp6UTvtiMBOIfJbmxkFGq_83kKrYw5oaryzDk

[4] – https://www.dw.com/de/kroatien-pushbacks-im-interesse-der-eu/a-55702940

[5] – https://www.borderviolence.eu/background/

[6] – https://www.borderviolence.eu/category/monthly-report/

[7] – https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/12/croatian-police-accused-of-shaving-and-spray-painting-heads-of-asylum-seekers